Folk Club am 6. März – 111. Treffen zum Thema Alter
Alter? Wer hatte sich das wohl als Motto des Folk Clubs Nr.
111 ausgedacht. Und wer hätte gedacht, dass das Motto irgendwie auch
bezeichnend für die aktuelle Situation stand. Gelten doch gerade die älteren
Menschen aktuell als gefährdet, wenn sie sich mit dem Corona-Virus anstecken.
Beim Folk Club im März saßen noch alle gemütlich und unbeschwert beieinander,
aber schon ein paar Tage darauf geriet manch einer in Angst und Schrecken, und
nun? Aus ist’s bis auf weiteres mit den Folk-Club-Abenden, und auch unser
Treffen im Mai wurde abgesagt. Für weitere Treffen gibt es bislang nichts als
das Prinzip Hoffnung.
Trotz des Trauerflors muss sich euer Chronist aber endlich
aufraffen, ein paar Zeilen über den wirklich schönen Abend am 6. März zu
schreiben.
John Harrison hatte ein wirklich perfekt zum
Thema passendes Startlied dabei: „Pamela Brown“, das gemeinhin Leo Kottke
zugeschrieben wird, aber nach Johns Aussage von Tom T. Hall stammt. Der Text
handelt von einem Mann, der rückblickend ganz froh ist, dass sich seine einstmals
Angebetete Pamela Brown für einen anderen entschieden hatte. So lebte er ein
Leben, in dem er viel herumkam und nicht in seinem kleinen Nest festklebte. Und
warum hatte sie sich für einen anderen entschieden? Man fasst es nicht, er fuhr
einen Pick-up. Das Lied erinnert mich
ein wenig an „Ming eetste Fründin“ von den Bläck Fööss. Meiers Kättche
entschied sich damals auch für Webers Mattes, weil der schon ein Auto hatte und
nicht nur ein „Mopped“. Aber kürzlich hörte ich ein Lied, in dem der damalige
Unglückliche „dat Kättche“ nach Jahrzehnten wiedertraf und angesichts ihres inzwischen
erheblichen Umfangs ziemlich erleichtert war, dass ihm Webers Mattes damals in
die Quere gekommen war.
„A Man Of The Earth“ von Berny Parry hat ebenfalls das Alter
zum Thema: Ein junger Arbeiter begegnet einem Rentner, der nach rund fünfzig
Jahren Arbeit im Stahlwerk in seinem Garten werkelt. Ihm wird klar, dass er
noch viele Jahre schwerer Arbeit vor sich hat und am Ende nur eine kleine Rente
erwarten kann. „Corona, Corona“ handelt zwar nicht vom Alter, ist aber eine
kleine Persiflage auf der Basis des Liedes „Corina, Corina“ von Robert Johnson.
Oje, lieber John, wenn wir geahnt hätten, was mit Corona noch auf uns zukommen
würde!
Das Thema „Alter“ verkörpert Gert Müller ganz selbstverständlich, führt er uns doch immer wieder
mit seinen Gedichtvorträgen im Bonner Dialekt in eine Zeit zurück, in der diese
Sprache noch ganz alltäglich auch für gebildete Zeitgenossen war. Wir „jüngeren“
Zeitgenossen stehen sozusagen auf dieser Seite der Grenze, und Menschen aus der
gar nicht so viel älteren Generation Gerts haben noch ein Bein auf der Seite
der – vermutlich unwiederbringlichen – Vergangenheit. Viele Gedichte von Gerts
Freund Ferdinand Böhm interpretieren bekannte Bibelstellen neu und in
unerwarteter Weise. Diesmal ging es um „De Trööte vun Jericho“ – die Trompeten
von Jericho also. Das Unmögliche, die Mauern von Jericho einstürzen zu lassen,
vollbringt am Ende ein Unbekannter, der sich de Tröötemann nennt.
Etwas nachzuholen hatten Mario Dompke und Sonja.
Mario musste im Juni vorigen Jahres das Lied „Gabriellas Song“ aus dem Film
„Wie im Himmel“ „nur“ in einer Instrumentalversion spielen, da Sonja erkrankt
war. Diesmal gab es das Lied in seiner
ganzen Schönheit mit Sonjas wunderbarer Stimme zu Marios genialer
Gitarrenbegleitung – ein wahres Gänsehautstück!
John Hurd, unser
rasender Konzertreporter (Internetplattform: 3SongsBonn
mit wunderbaren Berichten und brillanten Bildern von Konzerten in der Region) hatte
zum Thema des Tages ein Lied aus eigener Feder parat. Johns Vater war im 2.
Weltkrieg in Ostasien eingesetzt und in japanische Kriegsgefangenschaft
geraten. Er hatte nach Johns Aussage nie über den Krieg gesprochen. Seine
Erlebnisse müssen so furchtbar gewesen sein, dass er nie wieder daran rühren
wollte. So musste John mit dem Lied „This Is What He Would Have Said” die
Berichte seines Vaters fiktiv nachempfinden – berührend.
Daniel Bongart
steuerte mit dem – ebenfalls selbstgeschriebenen – Lied „Maybe Tomorrow We’ll
Meet Again“ ebenfalls etwas zum Thema bei. Es geht darin um Menschen, mit denen
man vor langer Zeit zu tun hatte und die aus dem Lebensumfeld verschwunden
sind. Was ist mit Ihnen geschehen? Trifft man sie vielleicht einmal wieder?
Folk-Club-Urgestein und seit vielen Jahren Programm-Organisator
Steve Perry hatte entdeckt, dass in
der walisischen „Nationalhymne“ das Wörtchen „alt“ in jeder Strophe und im Refrain einmal vorkommt. „Alt“
heißt auf walisisch „hen“. Somit passt das Lied vorzüglich zum Thema des Abends,
und Steve konnte ein Lied in der von ihm geliebten walisischen Sprache
vortragen. „Hen Wlad fy Nhadau“ (Altes Land meiner Väter) heißt der Titel der
Hymne in der urigen keltischen Sprache.
Ihre neuesten Kompositionen präsentierten Stephan Weidt (Gitarre und Gesang) und Ulrike Hund (Querflöte und Gesang), die
schon mehrmals im Folk Club aufgetreten sind. In einem Medley fassten sie
mehrere Stücke zusammen, die mit dem Thema Zeit und seiner Wahrnehmung zu tun
hatten – sehr meditativ. „Wut“ hieß dann der Titel eines Liedes, das von den
Konflikten zwischen den Generationen handelt. Die Kreationen von Ulrike und
Stephan sind Poesie pur, verpackt in eindringlich gesungene und gespielte,
leicht entrückte Melodien. Bravo Ulrike und Stephan!
Das Thema Wut setzte Rainer
Goetzendorf, der vielseitige Musiker, der Manchen vielleicht als Trompeter aus
der Hot Pepper Jazz Band bekannt ist, mit seinen drei Liedern fort, die sich
mit der drohenden Zerstörung unseres Planeten durch die menschliche Gier
befassen. „Nur weil ihr gierig seid“, Wahnsinn, meine Wut, sie wächst“ und
„Gaia, die schöne, blaue Perle“ lauteten die Titel, bei denen sich Rainer
selbst auf der Gitarre begleitete. Ja, die Protestsongs leben noch!
Steve Crawford (Gitarre
und Gesang) und Sabrina Palm (Geige
und Gesang) sind in der Region bekannte Musiker, und auch im Folk Club hatten
sie bereits vor Jahren einen umjubelten Auftritt. Diesmal sprangen sie
glücklicherweise als Featured Artists für den erkrankten Gerd Schinkel ein, der
eigentlich für den Abend vorgesehen war. Zum Aufwärmen spielten sie ein ein
Jig, ein instrumentales Tanzlied, mit dem Titel „Three Little Steps“. Eine
Erinnerung an die Versenkung der kaiserlichen Flotte in Scapa Flow, einer Bucht
inmitten der Orkney-Inseln, ist ein Lied, das das Ereignis indirekt aus der
britischen Sicht schildert. Kris Drever, ein schottischer Liedermacher, der von
den Orkneys stammt, lässt in seinem Lied einen deutschen Seemann die Geschichte
schildern. So viel Empathie für das Schicksal deutscher Militärmaschinerie ist
eurem Chronisten von britischer Seite noch nie begegnet. Steve sang das Lied mit
seiner schönen Stimme mit großem Einfühlungsvermögen.
Ebenfalls aus Steves schottischer Heimat ist das Lied „Such
A Parcel of Rogues In A Nation“, das aus der Feder des schottischen
Nationaldichters Robert Burns stammt. Es fasst die grenzenlose Enttäuschung
darüber zusammen, dass die Mitglieder des schottischen Parlaments 1707 mit
ihrer Unterschrift das Gesetz über die Zusammenführung Englands und Schottlands
(Act of the Union) besiegelten. Vorangegangen war eine katastrophale Pleite
eines Kolonialprojekts in Panama, in das schottische Finanziers riesige Summen
gesteckt hatten. Von englischer Seite wurde den Investoren eine Erstattung
ihres Verlustes in Aussicht gestellt, wenn sie sich für die Vereinigung
einsetzten. Letztlich kam es so, und der „Act of the Union“ gilt bei
eingefleischten Schotten bis heute als das Ergebnis eines grandiosen
Korruptionsskandals und als ein Verrat am Vaterland.
Ihre Virtuosität auf der Geige konnte Sabrina beim Reel (einem
schottischen Tanz) „Scone Palace“ ausspielen. Immer wilder wird die Melodie,
und Bogen und Finger müssen ganz gehörig flitzen. Steves Können auf der Gitarre
bildet dazu die perfekte Ergänzung. „Hope Remains“ ist der Titel eines
gefühlvollen Liedes über Vergangenheit und Zukunft, das aus Steves eigener
Feder stammt. „Farewell Rory“ ist ein Instrumental, eine Melodie für einen
Abschied, die aber eher wie ein Lied zur Begrüßung klingt. Ebenfalls ein
Instrumental war das letzte Stück von Sabrina und Steve mit dem Titel
„Something Is Right About It“. Nach Sabrinas Worten handelt das von ihr
geschriebene ruhige und melodische Lied sozusagen über das gesamte Leben und
davon, dass es so, wie es ist, schon irgendwie richtig gefügt ist. Steve
ergänzte noch ein riesiges Kompliment an den Folk Club, der der beste der Welt
sei, natürlich nach dem Folk Club Aberdeens, Steves Heimatstadt – frenetischer
Applaus für die beiden wunderbaren Musiker!
Eigentlich waren die Sabrina und Steve schon die
Glanzlichter des Abends, aber wie so oft beim Folk Club, es wird nicht
gekleckert, sondern geklotzt: „Stables“,
so nennt sich das englische Duo bestehend aus Matthew Lowe (Gitarre und Gesang) und Daniel Trenholme (Schlagzeug, Ukulele, Mundharmonika und Gesang),
starteten ein wahres Feuerwerk an fantasievollen Melodien gepaart mit
Spielfreude, stimmsicherem, zweistimmigem Gesang und professioneller
Instrumentenbeherrschung. „Dandelions And Daisies On My Mind“ brachte eine
kleine Aufmunterung in die leicht depressive Stimmung, die durch die vorherigen
Lieder eigezogen war. „Disagree“, ein Lied über unterschiedliche Auffassungen
in Beziehungen, behandelt das Problemthema mit Schwung und Humor „Who am I to
disagree?“ lautet eine Refrainzeile aus dem Lied. Mit dem Lied „Steam“ hatten
die beiden ihr gemeinsames Musizieren gestartet. Über Träume, in denen man sich
verlieren kann, handelte das Lied „Reverie“. Neben den eigenen Liedern hatten
die beiden auch das Cover des Lieds „Laundry Room“ der amerikanischen Band „The
Avett Brothers“ mitgebracht. Ich habe mir das Original angehört und muss sagen,
die Version der Stables gefällt mir viel besser. Mit „Eleven Hours“ und „Meet
You“ stellten sie weitere eigene Lieder vor. Zum Schluss sangen sie das
unsterbliche Lied „Graceland“ von Paul Simon. Mit diesem Lied ging ein wieder
unglaublich schöner, unterhaltsamer und vielseitiger Folk-Club-Abend zu Ende.
Aber halt, zu Ende ist ein Abend im Folk Club erst, nachdem
dem ollen Schotten Jock Stewart gesanglich ausgiebig gehuldigt wurde: „A man
you don’t meet every day“.
Ja, und wann wir uns wieder treffen können und werden, steht
noch in den Sternen, und selbst dort haben wir es noch nicht lesen können.
Liebe Gemeinde, bleibt geduldig und singt selbst ein
bisschen.
Vielleicht habt ihr ja inzwischen etwas einstudiert für das erste
Treffen des Folk Clubs nach der langen Zwangspause in hoffentlich nicht allzu
ferner Zukunft.
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