75 Jahre Städtepartnerschaft Bonn-Oxford – Folk Club außer der Reihe
1947, gerade einmal zwei Jahre nach dem Ende des schrecklichen Weltkrieges, schlossen die beiden Städte Bonn und Oxford eine Partnerschaft – ein wunderbares Zeichen in einer Zeit voller noch offener, tiefer Wunden. Es ist eine Ehre für den Folk Club Bonn, dass die Stadt unsere bescheidene Initiative in die Feierlichkeiten aus Anlass des 75jährigen Jubiläums der Partnerschaft („Oxford-Woche“) eingebunden hat.
Bereits im Juni waren John Harrison und Mario Dompke bei den Feierlichkeiten in Oxford („Bonn-Week“) zu Gast gewesen und hatten die Bürger der altehrwürdigen Universitätsstadt mit Musik aus dem Rheinland unterhalten.
Jetzt also, am 26. August, erfolgte der Gegenbesuch aus England mit Dick Wolff aus Oxford als besonderem Gast. Dick wurde begleitet vom Mitglied des Oxforder Stadtrats Alistair Morris, dem ehemaligen stellvertretenden Bürgermeister von Oxford Tony Brett und Gordon Woods aus der Oxforder Delegation. Auch die Bonner Ratsfrau Brigitta Poppe-Reiners war zusammen mit ihrem Mann Thomas Reiners von der Partie.
Aber wie immer der Reihe nach:
John Harrison startete den Abend natürlich mit einer besonderen Begrüßung der Gäste aus England und legte musikalisch gleich los mit einem a capella gesungenen Lied aus seiner mittelenglischen Heimat: „The King Of Rome“ handelt von einer besonderen Brieftaube, die trotz widriger Wetterbedingungen den weiten Weg zurück von Rom zu ihrem Taubenschlag in der Stadt Derby schaffte. Auch dort gab es wie früher in deutschen Industriegebieten eine Begeisterung der Industriearbeiter für die Haltung von Brieftauben, die zu Wettbewerben geschickt wurden. Die Brieftaube war „das Rennpferd des kleinen Mannes“. Etwas gruselig mutet das – ebenfalls a capella gesungene – Lied „Close The Coal House Door“ von Alex Glasgow an. Darin geht es um die menschlichen Opfer, die bei der Gewinnung des Brennstoffes gemacht werden. Man möge die Tür des Kohlenschuppens schließen, denn darin seien Blut, Knochen und auch kleine Kinder. Das Letztere ist eine Anspielung auf die Katastrophe von Aberfan in Wales im Jahr 1966, als nach längerem Regen eine Abraumhalde der dortigen Kohlebergwerke ins Rutschen kam und Teile des Ortes unter sich begrub, darunter eine Grundschule. 116 Kinder und 28 Erwachsene kamen bei dem Unglück ums Leben. Bei „The Hunting Song“ von John Clare, der Geschichte eines gejagten Fuchses, begleitete John sich auf der Gitarre. „Twelve Gates To The City“ ist ein Gospel über die zwölf Stadttore von Jerusalem. Da aber auch Bonn einst zwölf Tore hatte, ist es indirekt auch auf unsere Heimatstadt gemünzt. John und Christoph Thiebes begleiteten bzw. umrahmten das Lied auf ihren Mundharmonikas – virtuos!
Mario Dompke, der im Folk Club die Fahne der deutschsprachigen Lieder hochhält, stellte ein neues Lied mit aktuellem Bezug vor: „Wenn die Seele Trauer trägt“ beschreibt Seelenqualen nach Corona. Über die Versicherungsmentalität vieler junger Leute spottet die Ballade „Zähle doch nicht schon in jungen Jahren“. Ein hintersinniges Lied, das ganz anders endet, als die Hörer es am Anfang vermuten, ist „Ich hab‘ dich lieb“. Es geht um die Liebe eines Vaters für seinen Sohn. Am Beginn des Liedes denkt manch einer an etwas delikatere Ereignisse. Man hört meist das, was man hören möchte, ist Marios schmunzelnde Erklärung.
Immer ein Ereignis sind die Auftritte von Tom Kannmacher, dem Altmeister der Interpretation deutschsprachiger Volklieder. Tom berichtet davon, dass viele deutsche Lieder in Lothringen aufbewahrt wurden und dort die Jahrhunderte überlebt haben. Tom begleite sich bei seinen Lieder auf einer deutschen Laute, die wie eine Gitarre gestimmt ist. „Es zogen drei Knaben gen Amsterdam“ erzählt die bizarre Geschichte von drei jungen Männern, die nach Amsterdam reisen und dort vom Bürgermeister zum Tode verurteilt werden. Warum dies geschieht, erfährt man nicht. Die Tochter des Bürgermeisters hat jedoch Mitleid mit den Männern und verhilft ihnen zur Flucht. Die Geschichte geht somit dank der Menschlichkeit der jungen Frau gut aus. Weitere Lieder aus dem Fundus des Wiederentdeckten waren „Der Bettelmann“ über einen Bettler aus Ungarn, „Der Kuckuck“ als Allegorie auf Menschen, die auf Kosten anderer Leute leben, „Ich stand auf hohem Berge“, eine Ballade über drei Grafen und eine Nonne, sowie „Und wenn der liebe Gott wollte“ über einen Mann, der, gerade frisch verheiratet, in den Krieg ziehen muss und dort stirbt. Ferner sang Tom das Lied „Edelmann und Schäfer“ aus der Zeit der Französischen Revolution über den Konflikt zwischen Adel und gewöhnlichen Leuten, der sich an der nicht standesgemäßen Kleidung des Schäfers entzündet.
Daneben präsentierte Tom auch eigene Kompositionen: Ganz aktuell ist das Lied über die Flut in der Eifel „Was hat uns so weit gebracht“. Viel zu lachen aber auch einiges zum Nachdenken gab es bei seinem Lied „Die Versicherungen sind eine schwierige Zunft“, dessen Titel eine Parodie auf das Volkslied „Die Leineweber sind eine saubere Zunft“ darstellt. – Viel Applaus für Tom und großes Lob für seinen Einsatz für die deutschen Lieder, die in Vergessenheit zu geraten drohen.
Ein Riesenpaket an gesungenen und instrumental gespielten Liedern hatte Dick Wolff aus Oxford mitgebracht. Ebenso groß war Dicks Gepäck in Bezug auf seine Instrumente – alle aus der Familie der Akkordeons. Neben einem Akkordeon mit Klaviertastatur hatte er noch drei Knopfakkordeons unterschiedlicher Bauart dabei. Mit den Instrumentalstücken „Old Molly“ und „Old Tom“ – Melodien für das „Morris Dancing“, traditionelle englische Volkstänze in Gruppen – startete er seinen Reigen. „The Eynsham Poachers“ besingt drei Wilderer, die ihren Häschern durch Flucht über die Themse hinweg in einen anderen Amtsbereich entwischen. Etwas „moderner“ ist das Thema der Liedes über Wanderarbeiter in den 1930er Jahren, die in Automobilfabriken arbeiteten. Wieder rein instrumental ging’s bei der Tanzmelodien „George Watsons Hornpipe“ und „The Shepherd And The Shepherdess“ zu. Ebenfalls instrumental ist eine Morris-Dance-Melodie, die in der Zeit um den 1. Weltkrieg herum vor dem Vergessen bewahrt wurde. Dick spielte sie auf einer kleinen Konzertina. Von Küsten im Norden Englands stammen die Melodien „Muffin Man“ und „Salmon Tails Above The Water“. Deftig und schwungvoll waren die Lieder „Barracks Streets“ über Seeleute, die ihre sauer verdiente Heuer in einer Nacht auf den Kopf hauen, „Paddy Lay Back“ zum Mitsingen und zuletzt „Jolly Jack Of Dover“, ein Lied über einen Kapitän, der französische Revolutionsflüchtlinge nach England brachte, sich aber über ihre zweifelhaften Charaktereigenschaften lustig macht – Tosender Applaus war der Dank des Publikums für die Musik und für Dicks fachkundige und humorvolle Kommentare zu den Stücken.
Vielen Dank, Dick, für deine kurzweiligen Lieder und den Einblick in alte englische Lieder und Melodien, die im Folk Club zuvor noch nicht erklungen waren.
Mit einem einzigen Lied brachen sich 2Sunny, dem Duo bestehend aus Tatjana Schwarz (Gesang) und Ralf Haupts (Gesang und Gitarre) wieder in Erinnerung, die erstmals seit langem wieder im Folk Club auftraten. „In dieser Stadt“, das bekannte Lied von Hildegard Knef ist wie gemacht für Tatjanas eindrucksvolle, weiche Altstimme. Mehr von den beiden gibt es im Oktober zu hören.
Eine völlig andere Materie gab Barry Roshto zum Besten, der erstmals seit Beginn der Corona-Beschränkungen wieder im Folk Club auftrat. Bis auf ein Lied „God Is Great, Beer Is Good And People Are Crazy”, Barrys Hymne für den Folk Club, präsentierte er außergewöhnliche Gedichte. Die Gedichte sind Teil eines aktuellen Projektes, das Barry und seine musikalische Partnerin Ursel Quint derzeit betreiben.
„Without A Doubt“ lautet der Titel des ersten Stückes, das verwirrende Gedanken über Blätterteig, Teeblätter, Kaffeeflecken auf den Papierseiten mit den Gedichtnotizen, Windelinhalte und Amselgesang in der Nacht miteinander verbindet.
„Just Do It“ beschreibt in Aufs und Abs, dass getan werden soll, was getan werden muss. „“Humphry Grumphry“ steht als Titel über einem Gedicht, das die Irritationen, Beschwernisse, Verärgerung und Wut, die einen Menschen befallen, zum Thema hat. Aber: No matter, whatever...Whatever happens, I am still a human being with Passionate feelings about how we treat each other, And what works and whatnot...” lautet eine Zwischenbilanz. Am Ende aber steht, dass es die anderen doch, verdammt noch mal, nichts angehe, womit man selbst seine Probleme habe.
Am Klavier von Ursel Quint mit eindrucksvollen tonalen Einwürfen begleitet, rezitierte Barry das Gedicht „Circles“, das um die Unendlichkeit und die Relativität kreist und kreist und kreist – ergreifend in der Kombination von ausdrucksvoll gesprochenem Wort und perfekt gespielten Klaviereinsprengseln. Viel Applaus für Ursel und Barry. Euer Berichterstatter ist sich sicher, dass die beiden uns künftig noch mehr ihrer Werke vorstellen werden.
Mit diesem abwechslungsreichen Programm ging der Abend zu Ende, aber nicht bevor alle die Folk-Club-Hymne auf den ollen Schotten Jock Stewart gesungen hatten.