Folk Club Nr. 147 im Juni – Alles wieder von vorn?
„Alles noch einmal von vorn“, auf Englisch „Starting All Over Again“, lautete das Motto des Folk Clubs im Juni. Das war das Wunschmotto unseres Featured Artists David Blair, der eigens für seinen Auftritt aus Berlin angereist war. Na, ja nicht ganz exklusiv, denn am Abend vor dem Folk Club spielte er sich schon einmal im Lokal „Kater 26“ an der Römerstraße im Bonner Norden warm. Wir können dankbar sein, dass auch Profimusiker im Folk Club auftreten. Offenbar übt das Konzept „komplett unverstärkt“ des Folk Clubs einen besonderen Reiz auf die Musiker aus.
Glücklicherweise brauchen wir nicht wieder ganz von vorn anzufangen. Das war selbst nach der Corona-Unterbrechung nicht der Fall. Aber David Blair hatte das Gefühl, dass das Motto auf ihn zutraf, verarbeitete dies in seinen Liedern und gab auch seinem neuestes Album diesen Titel.
Wie immer müssen die Featured Artists anderen Künstlern zunächst den Vortritt lassen. John Harrison eröffnete zusammen mit Christoph Thiebes an der Mundharmonika den Abend mit „Mr. Solitaire“, einem eigenen Lied über einen Sänger, der nicht genau weiß, wer er ist. Nun, wer weiß schon genau über sich Bescheid? „There are 10,000 dreams lying scattered across my floor, and a hundred people dancing who I have never seen before!!“ lautet eine Zeile des Liedes. Beim Blues „St. James Infirmary“ geht es wie meist beim Blues um das Thema verlorene Liebe, Tod und Schmerz darüber, betrogen worden zu sein. John spielte diesmal die Begleitung auf dem Klavier unterstützt von Christoph. Beim Lied „A Hunting Song“ des englischen Poeten John Clare aus dem Jahr 1820 gesellte sich Michael Pfeil zu den beiden und gab dem doch recht martialischen Lied über die Fuchsjagd auf dem Cajon die rhythmische Unterstützung. „To-day the fox must die“ ist die schaurige Quintessenz des Liedes, das die wilde Hatz auf die arme Kreatur beschreibt.
„Schon viel Schönes“, diesen Standardspruch von Chorleitern, die ihren Chormitgliedern schonend sagen wollen, dass beim soeben Gehörten noch massig Luft nach oben sei (mein Tipp: der betreffende Chorleiter soll sofort einen Euro ins Phrasenschwein stecken), haben das Trio bestehend aus Wolfgang Koch, Wolfgang Schmeil (beide Gitarre und Gesang) und Lisa Ose (Gesang) als Name für ihre Gruppe gewählt. Das ist mal was Originelles. Lisas Stimme hatte dann aber wesentlich mehr als „schon viel Schönes“. Bei „Dreams“ von Fleetwood Mac konnte sie sich wunderbar warmsingen. Die Fleetwood-Sängerin Christine McVie, die vor gut anderthalb Jahren verstorben ist, hat sicherlich am Himmelspöötzje ihren Spaß und begeistert Beifall geklatscht. Gut zum Thema des Abends passt das Lied, das Wolfgang Schmeil selbst geschrieben hat und das den Neustart eines Mannes nach dem Tod seiner Frau beschreibt. „Flowers In The Dirt“ macht Mut, ist melodiös und zudem wirklich professionell gesungen. Aus Lisas Feder stammt das eindringliche Lied „Lena’s Song“, das einer Frau gewidmet ist, die Sie bei einem Projektaufenthalt in Russland kennengelernt hatte und die trotz ihres Kehlkopfkrebses den Lebensmut nicht verloren hatte. Großer Applaus für die Drei für ihren Auftritt. Wir werden sicherlich von der Gruppe noch hören.
Wolfgang Schriefer aus Köln ist ein treuer Begleiter des Folk Clubs und bringt immer wieder kleine Überraschungen mit. Diesmal hatte er sich ein Potpourri ausgedacht, das mit den Textzeilen den Gang einer Liebe beschreibt (geht ja auch immer wieder von vorn los). Den Start machte er mit „Yes, I Will“ von den Hollies – es gibt Schmetterlinge im Bauch und totale Verliebtheit. Kleine Irritationen beschreibt das Lied „Evil Hearted You“ von den Yardbirds. Dann wieder wächst die Sehnsucht bei „I Can’t Sleep Without You“ von Golden Earring. Die Sehnsucht steigert sich noch bei Michel Polnareffs „Love Me“. Doch dann gibt es den Absturz, und Adele singt: „Never Mind I’ll Find Someone Like You“: ja, du bist ersetzbar. Und dann naht das Alter oder die Krankheit, und man braucht Hilfe. Das beschreibt Udo Lindenberg wunderbar in seinem Lied „Ich trag‘ dich durch die schweren Zeiten“. Darin geht es auch um einen Neuanfang, und damit sind wir beim Thema des Abends. Das Thema „Was machen wir, wenn wir alt und grau sind“ beschreibt auch Robbie Williams in seinem Lied „Angel“. Und dann kommt – vielleicht – wie der Rheinländer sagt „de zweite Plück“, und es gibt noch einmal eine heiße Liebe. „Hot Love“ lautet dazu der Beitrag von T. Rex. Bravo, Wolfgang für die geistreiche Geschichte und die gekonnte musikalische Umsetzung.
Als Nächste folgten vier Herren mit je einem Lied. John Hay hatte eine Beobachtung in seinem häuslichen Umfeld musikalisch verarbeitet. „Brunnenband“ heißt das Lied, das die Geschehnisse am Springbrunnen vor dem Fenster seiner Dottendorfer Wohnung beschreibt. So ein Brunnen ist ein Fokus für kleinere und größere Treffen von größeren und kleineren Leuten und trägt zur Kontaktpflege in der Nachbarschaft bei. John, das ist ein wunderbares Lied!
Nick Nuttall, ehemaliger Mitarbeiter im UNO-Klimasekretariat und jetzt „freischaffender Künstler“, war schon vor Jahren mit den „Passionate Penguins“ zu Gast im Folk Club. Diesmal singt er sich mit dem selbst geschriebenen „Just Because The Bad Wind Blows“ Mut an über die Entwicklung beim Klimawandel und dessen Auswirkungen an.
Als Walk-in spielt Jacob alias Van Demian das selbstverfasste Lied „If You Would”, das seine Empfindungen über eine Trennung wiedergeben soll.
John Hurd, unser treuer Gefolgsmann, dessen professionelle Musik-Website 3SongsBonn auch regelmäßig über die Veranstaltungen des Folk Clubs berichtet, sprang mit dem Lied „Ready For The Times To Get Better“ von Doc Watson in die Bütt. Allzweckwaffe Christoph Thiebes unterstützte ihn auf der Mundharmonika. Ja, bessere Zeiten können wir immer gut gebrauchen, aber wie gut sollen sie denn werden?
David Blair hatte geduldig auf seinen Auftritt gewartet und durfte jetzt die neuen Lieder seiner aktuellen Tour „Starting All Over Again“ vorstellen. Mit „What Else Is There?“ geht es los. Und da schreibt er uns gleich sein Bekenntnis ins Stammbuch: Gibt es eigentlich noch etwas anderes als Musik? Über Davids Stimme brauche ich gar nicht viel herumzuschreiben. Sie ist einfach phänomenal: Riesiges Volumen, krasser Tonumfang und schöne Variabilität nehmen das Publikum vom ersten Ton an gefangen. Hinzu kommt eine meisterhafte Beherrschung seiner Gitarre. Kein Wunder, dass er vor Jahren am Wettbewerb „Voice of Germany“ teilnehmen konnte. „Summer Nights“ handelt von dem Erlebnis. „Alone Together“ ist eine wunderbar abgewandelte Version eines älteren Stückes. Bobby Darin hätte sich sicherlich gefreut, wie David dessen Lied „More“ bearbeitet und mit seiner herrlichen Stimme gesungen hat. „Stronger, Higher Faster“ ist der Titel eines Liedes, das der sportbegeisterte David für die Olympischen Winterspiele 2010 in seiner kanadischen Heimatstadt Vancouver geschrieben hatte. Er hat das Lied dort auch spielen dürfen. In leicht abgewandelter Version soll es das kanadische Olympiateam beflügeln, das in Kürze bei den Sommerspielen in Paris antritt.
Nach der Pause gab es ein wenig Instrumentales zu hören. Antje ten Hoevel und Uwe Jendricke, die als Duo „Harfenlicht“ auftreten, verschafften der Bühne mit ihren Harfen ein exotisches Aussehen und den Ohren der Zuschauer einen besonderen Schmaus. „Le canal en octobre“ ist ein sogenannter Schottisch-Tanz und eigentlich für Akkordeon geschrieben, hört sich aber mit zwei Harfen sehr apart und luzid an. Dass „Auf einem Baum ein Kuckuck“ ein Lied mit einer versteckten politischen Botschaft ist, war eurem Chronisten bislang nicht bewusst. Über manche Dinge macht man sich halt keine Gedanken. Aber hier habe ich gelernt, dass die Autoren des 19. Jahrhunderts mit dem Text sagen wollten: „Ihr könnt uns ruhig verjagen oder ins Gefängnis stecken. Bei nächster Gelegenheit sind wir wieder da“. Dummerweise trifft das auf alle zu, auch auf die Bösewichte. Immerhin hört sich die Melodie von zwei Harfen gespielt wunderbar an – mit oder ohne Botschaft.
Ein Klassiker der Harfenliteratur ist Christoph Pampuchs Komposition „Roter Himmel, blaue Wolken“, die eigentlich eine Etüde darstellt, aber auch schön anzuhören ist. Ebenfalls ein Klassiker ist das letzte Stück von den Beiden: „Stone Of Brodgar“ der Hamburger Folk Band „The Roving Bottles“. Die Band, die sich schon 1998 auflöste, setzte mit der Melodie ein musikalisches Denkmal für den neolithischen Steinkreis „Ring of Brodgar“ auf den Orkney-Inseln und hier meisterhaft gespielt von Antje und Uwe.
Ja, liebe Leser, das musikalische Feuerwerk setzte sich fort mit dem Auftritt der Fliegenden Füße, nein, der Name muss ja auf Englisch lauten, also „Flying Feet“. Die Gruppe hat sich nach eigenem Bekunden erst in diesem Jahr gefunden und erfüllt schon damit das Motto des Abends. Die Musiker sind Uli Schünke (Mandoline), Sabine Schwabe (Geige), Klaus Pate (Bass) und Nico Pethes (Gesang und Gitarre). „Flying Feet“ heißt auch das erste Stück der Gruppe, das inspiriert ist von der Geschichte einer Stepptänzerin. „Jesus etc.“ ist ein schräges Lied der amerikanischen Band „Wilco“. Das allwissende Internet erzählt uns, dass der Kerngedanke hinter dem Lied der universelle Kampf ist, mit dem man Bedeutung und Zweck in einer oftmals verwirrenden Welt zu finden versucht. Weiter heißt es im zitierten Beitrag: „Der Liedtitel verweist auf die Suche nach etwas Größerem, da der Hinweis auf Jesus den Wunsch nach spiritueller Anleitung impliziert“. Alles klar? Egal, Hauptsache, die Musik ist gut, und das ist sie. Zum Abschluss gab es den „California Blues“, der eigentlich eher ein flottes Country-Lied darstellt. Liebe Fliegende Füße, das war ein wunderbarer Auftritt, kommt bald wieder.
Hofjebräu, alias Axel Meyer und Michael Pfeil, die explosive Mischung aus Rheinland und Ruhrgebiet, sind im Folk Club keine Unbekannten mehr. Wenn sie auftreten, ist garantiert Stimmung angesagt, und das traf auch auf den Folk Club im Juni zu. Unterstützt wurden die Beiden durch die Mundharmonikas von John Harrison und Christoph Thiebes. Diesmal hatten sie wunderbare Lieder deutscher Barden im Gepäck: „Ärger“ von Stoppok nimmt ironisch die Enttäuschung über unerwartet ausgebliebene Pannen aufs Korn. „Nobbi Braun“ von Köster/Hocker ist eine herrliche Übertragung des tragikkomischen Zappa-Klassikers „Bobby Brown“ über einen Mann, der sich im queeren Milieu bewegt, ins Rheinische. Das Lied von 1979 war seinerzeit in Europa in mehreren Ländern ganz oben in den Charts, darunter auch in Deutschland, wurde aber in den USA von den Radiosendern wegen seines Inhalts boykottiert. Köster kommentierte bei einem Auftritt ironisch, dass das in den USA nur deswegen erfolgte, weil man dort den Text verstanden hatte. Auch eher ironisch zu verstehen ist das Lied „Oh Margarethe (gib mir die Knete)“ von Marius Müller-Westernhagen, das schön dreckig und sexistisch daherkommt – viel Applaus für die Beiden!
Sein zweites Set startete David Blair mit dem Lied „This Is The Soundtrack“ über eine Begegnung, die sich wie ein gestohlenes Lied anfühlt, über das er gestolpert ist und das ihn tief beeindruckt. „Starting All Over Again“, das Themenlied für das Motto des Abends, stammt schon von 2014. David hat es für sein neues Album aufpoliert. Kleine Anleihen bei anderen Künstlern machte David mit einem gekonnten Medley, das aus folgenden Liedern bestand: „You Don’t Have To Be Rich“ von Prince, „Hallelujah“ von Leonard Cohen, „Ground Control To Major Tom“ von David Bowie und „Faith“ von George Michael. Das Set schloss er ab mit eigenen Liedern: „So Hard To Control“, „What Am I Worried About“ (auf Deutsch ungefähr „Also mach dir bloß keine Sorgen“). Quasi als Rausschmeißer beglückte er das Publikum mit dem unsterblichen „What A Wonderful World“ von George David Weiss und Bob Thiele, das sein „Gesicht“ durch die unnachahmliche Interpretation von Louis Armstrong erhielt. Ein wunderbarer Abschluss eines herrlichen Abends auch dank des abwechslungsreichen Beitrags von David Blair.
Aber der wahre Rausschmeißer folgte natürlich danach mit der von allen gesungenen Hymne auf unseren Patron Jock Stewart.
Auf Wiedersehen im Folk Club am 5. Juli 2024 mit dem Motto „A Capella“.
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