Folk Club am 2. Dezember 2022 – Simon Kempston wieder Special Guest
Wie schön, dass wir im Dezember 2022 wieder einen „normalen“ Folk Club mit Simon Kempston aus Schottland als traditionellem Special Guest feiern durften. Die Freude war allerdings etwas getrübt:
Zum einen hatten wir zuvor im November mit vielen Tränen Abschied von Steve Perry nehmen müssen, der den mehrjährigen Kampf gegen die Leukämie verloren hatte. Steve hatte den Folk Club über mehr als zehn Jahre begleitet und durch seine eigenen Auftritte und die vielen von ihm „an Land gezogenen“ Musiker geprägt. Er war eine Persönlichkeit voller Freude, Einfühlungsvermögen, Warmherzigkeit und Optimismus, und jeder, der ihm begegnete, wurde davon umfangen. Der Folk Club war und ist nicht zuletzt auch sein Werk, wofür wir ihm sehr, sehr dankbar sind.
Das zweite ist dagegen sicherlich eine Petitesse, verursachte aber dennoch bei einigen im Publikum Verdruss: Um die Corona-Infektionsgefahr gering zu halten, sorgen wir aktuell während der Abende für reichlich Lüftung. Und das hat bei entsprechender Witterung zuweilen wenig angenehme Raumtemperaturen zur Folge. Aber, wie heißt es in der Persiflage auf das Lied der Wolgaschlepper: „Zieht euch warm an!“ Und haltet durch! Noch drei Folk-Club-Abende mit möglicherweise etwas schattigen Außentemperaturen, und dann sind wir voraussichtlich schon wieder auf der Sonnenseite.
Hinein ins Programm: John Harrison, unser unermüdlicher Antreiber und Vollblut-Musiker startete den Abend mit „The Snow, It Melts The Soonest“, einem melancholischen Liebeslied aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das aus Northumberland stammt. „I Can’t Breathe“ ist Johns Beitrag dazu, die Polizeimaßnahmen mit Todesfolge u.a. gegenüber George Floyd im Mai 2020 in einem Gedicht zu verarbeiten. Der Begriff war bereits früher durch den Tod Eric Garners durch einen Würgegriff eines Polizisten im Juli 2014 zu einem Kampfbegriff von Menschenrechtlern geworden.
Zusammen mit seinem Nachtwächterkollegen Christoph Thiebes an der Mundharmonika präsentierte John den Blues von Big Bill Broonzy “Black, Brown and White“. „The World Turned Upside Down“ ist ein Lied, das sich mit der kurzlebigen englischen Republik im 17. Jahrhundert (1649-1660) beschäftigt. Ganz so positiv, basisdemokratisch und freiheitlich, wie oft dargestellt, war die Zeit aber auch nicht. Denn Oliver Cromwell, der „Lord Protector“ löste das Parlament auf und benahm sich so, wie sich Diktatoren benehmen – diktatorisch eben mit Zwangsmaßnahmen und enthemmter Wut u.a. gegen Katholiken insbesondere in Irland. Von einer Republik konnte man eigentlich nicht reden. Aber nachdem die Monarchie wieder hergestellt war, ging es letztlich vielen Menschen auch nicht besser.
Hans Ihnen steht für den Griff ins Repertoire der melodischen, aber oft weniger bekannten Stücke. „The Family Tree“ der kalifornischen Band Venice ist eins von ihnen. Das Lied war eine Hommage an den verstorbenen Steve, denn es geht in dem Lied um den Zusammenhalt in einer Familie, auch wenn wieder ein Familienmitglied sterben musste.
“Now as we
say goodbye
To one of our own
We may be lonely
But we're not alone
Though the leaves will fall
And the tears will flow
May it always comfort us to know
The family tree will always grow”
lautet der Refrain.
Danke für die Auswahl des Liedes, Hans, und für die berührende Präsentation. Zur Adventszeit passte dann das Lied „So This Is Christmas“ von John Lennon, das auch den Titel „War Is Over“ trägt. Leider ist der Krieg noch nicht vorüber. Wir können nur hoffen, dass es nicht mehr allzu lange dauert.
John Hay beglückt den Folk Club immer wieder mit anspruchsvollen Instrumentals auf der Gitarre. Diesmal gab es ein Stück, das die musikalischen Erbschaft Lateinamerikas zum Thema hat. „Herencia Latina“ lautet der Titel der wunderbaren Rumba von Paco Peña. Großer Applaus für John für das Stück und seine Interpretation – bitte mehr davon!
In der Weihnachtszeit darf natürlich die Weihnachtsgeschichte op Bönnsch Platt, vorgetragen vom rheinischen Urgestein Gert Müller, nicht fehlen. Der Text der Geschichte in Versform stammt von Ferdinand Böhm. Humorvoll und in original Bonner Platt erzählt uns Gert, wie es damals wirklich zugegangen ist, zum Piepen!
Schwungvoll und stimmgewaltig heizten Katharina Brosch und ihre Bandkollegen Mathias Mogge, Gero Harder und Ralf Engel alias White Maze den Saal mit drei ihrer mitreißenden und selbst geschriebenen Lieder ein. „Rumour“, „Queens And Kings“ und „Now Let Me Touch“ lauten die Titel. Die Band ist in der Bonner Südstadt zuhause. Aller Voraussicht gibt es dieses Jahr noch etliche Gelegenheiten White Maze zu genießen.
Nun, das Warten auf die Hauptakteure des Abends wurde dem Publikum durch wunderbare Musik durchaus leicht gemacht.
Simon Kempston, der seit 2011 alljährlich im Herbst im Folk Club eine feste Größe ist, kam diesmal in Begleitung einer kanadischen Musikerin, die er im Sommer auf seiner Tournee durch Kanada kennengelernt hatte. Bronwyn Claire Asha spielt Violine, Gitarre und singt. In der Version mit Bronwyns Violinbegleitung und Gesangsunterstützung bekommen Simons wunderbare und unverwechselbare Liedkreationen noch zusätzliche Würze. Die beiden musizieren, als ob sie schon immer gemeinsam aufgetreten wären. Bronwyn versteht es meisterhaft und einfühlsam, ihren Violinpart der Dynamik der Musik anzupassen. Nie dominiert die Violine. Und auch die Stimmen der beiden harmonieren perfekt. Der Gesamteindruck ist wunderbar homogen.
Die meisten der Lieder stammen von Simons neuem Album „You Can’t Win Every Time“. Alle seine Lieder basieren auf eigenen Erlebnissen oder beschäftigen sich mit dem politischen oder gesellschaftlichen Umfeld. „Laissez-faire Economy“ beschreibt die Verlockungen des Geldes für einen jungen Menschen. Bei „Of What Are They Ashamed“ geht es um die Hinwendung eines Freundes, der sich zuvor ziemlich vielen Lastern hingegeben hatte, zum Christentum. „Belfast Night“ stammt von einem älteren Album, klingt aber in der Version mit Violinbegleitng und Bronwyns Gesangspassagen noch interessanter. Weitere Titel der gemeinsam gesungenen und gespielten Lieder aus dem neuen Album waren „Impunity“, „A Tale Of Two Unions“ (über den Traum von der schottischen Unabhängigkeit), „Never The Bride“, „You Can’t Win Every Time“. Lieder von älteren Alben waren „He Remembers You“, „Broken Before“, „All In“, “Still So Far To Go” und “Hands On My Heart”, das Bronwyn mit einem wunderbaren instrumentalen irischen Reel einleitete. Auch Simon steuerte mit „Dance Of The Realization“ ein feines Instrumental auf der Gitarre bei.
Dass Bronwyn zudem eine ausgezeichnete Solokünstlerin ist und auch vorzüglich die Gitarre beherrscht, bewies sie in einem eigenen Set mit vier Liedern, die sich auch auf ihrem jüngst veröffentlichten Album „The Maiden’s Lament“ befinden. Alle Lieder entstammen der irisch-britischen Volksliedtradition. „Never Let A Man Steal Your Thyme“ singt Bronwyn a capella mit beeinduckender, intonationssicherer Stimme. Ein wunderbares Lied mit schönen allegorischen Anspielungen darauf, wie Männer mit Frauen umgehen. „Willy Of Winsbury“, ein Lied aus Schottland aus dem 18. Jahrhundert beschreibt das Drama eines unverheirateten Mädchens, das schwanger wird. „When I Was A Young Girl“ hatte seinen Ursprung in anderer Version auf dieser Seite des Ozeans, wanderte aber abgewandelt nach Amerika. Die Melodie verrät weiterhin deutlich ihren Ursprung. „Bridget O’Malley“, ein Lied aus Irland, beschreibt die Perspektive eines Mannes, der von der Angebeteten verschmäht wurde – ergreifend!
Wer trotz der Fülle immer noch nicht genug hat, der sollte Simons und Bronwyns Alben kaufen. Ab dem Frühjahr 2023 gibt es zudem wieder die Möglichkeit, die beiden in Deutschland bei Konzerten zu hören. Am 4. März spielen sie in Erkelenz – nichts wie hin, auch wenn Ihr am Tag davor natürlich schon alle beim Folk Club gewesen sein werdet (ist das nicht eine beeindruckende grammatikalische Konstruktion?).
Uff, all die bis jetzt beschriebene Musik war eigentlich schon abendfüllend, aber ein Folk Club ist nun einmal ein Füllhorn. Und so gab es zwischendrin noch ein paar andere Auftritte.
Nach der Pause stimmten John Harrison, Elena und Detlef das Publikum erneut auf weihnachtliche Stimmung ein und sangen das traditionelle englische Weihnachtslied vom barmherzigen böhmischen König Wenzel („Good King Wenceslas“). Die Sage will, dass der König am Stephanstag (26. Dezember) einen armen Bettler bei Schnee und Frost mit Essen und Wärme versorgte. Das erinnert stark an die Geschichte von Sankt Martin, den wir im Rheinland verehren.
Einen besonderen Auftritt am Anfang des zweiten Teils des Abends hatte Shay McVeigh, ein Ire, der in Bonn, genauer gesagt in Endenich, lebt. Shay hat viele Lieder auf Lager, die man nicht alle Tage hört. Eines davon ist „Simple Song“ von Lyle Lovett, ein wunderbar melancholisches Lied über desillusionierte Menschen. „Hello, In There“ von John Prine, ein Country-Lied, beschreibt eindringlich das Älterwerden und die oft damit verbundene Einsamkeit und Sprachlosigkeit. „Letter To Madeline“ von Ian Noe reiht sich in den Reigen der Lieder über die Schattenseiten des Lebens ein. Ein Bankräuber wird selbst beraubt und sendet sterbend seiner Liebsten aufmunternde Worte – niederschmetternd! Als ob das nicht genug Depressivmaterial wäre, gab es zum Abschluss seines Auftritts das Lied „Ballad Of Lawless Soirez“ von Gill Landry über einen ziel- und hoffnungslosen Landstreicher. Aber es ist in der Musik schon verrückt, die Lieder von Trauer, Scheitern und Hoffnungslosigkeit sind meist die schönsten. Sie berühren uns ganz tief. So war es auch mit Shays Auswahl, vielen Dank dafür und viel Applaus.
Nun, der Abend konnte nicht zu Ende gehen, ohne, dass die Gemeinde als Abschluss dem ollen Schotten Jock Stewart huldigte „A man, you don’t meet every day“.
Ihr trefft ihn nicht jeden Tag, aber am 6. Januar habt ihr erneut eine Chance beim Folk Club Nummer 131.
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