Folk Club Nr. 139 im Oktober – Bier, Wein und andere Köstlichkeiten
Bei dem Thema dürfte es den Akteuren des Folk Clubs doch nicht schwerfallen, etwas Passendes zum Thema zu finden, oder? Nun, in vielen der gespielten Lieder gab es etwas zum Thema, aber das Thema soll ja nur eine Anregung sein.
Immerhin, unser Vorturner John Harrison hatte seine Auswahl dem Thema gewidmet und mit dem a capella gesungenen „Pub Song“ gleich eine Punktlandung erzielt. „There you go, boys go“ lautet die Refrainzeile. Es ist ein Lobgesang auf sein Leib- und Magenbier Marston’s Pedigree. Aber Ach und Weh, dessen Brauerei in Johns Heimatstadt Burton upon Trent, einst ein Flaggschiff englischer Brautradition, ist, John behauptet wegen und nicht trotz des Brexits, jetzt in dänischer Hand und Teil des Carlsberg-Imperiums. Sic transit gloria mundi, möchte man sagen, aber das Bier gibt es sogar in Deutschland zu kaufen (z.B. in einem Supermarkt in Friesdorf), und John hatte sich mit einer Ampulle des Nektars ausgestattet und zum Lied einige beherzte Schlucke genommen.
Gleich die Gegenseite eines anständigen Biers beschreibt das ebenfalls eindrucksvoll a capella gesungene Lied „When I Water The Worker’s Beer“, das einen bösen Wirt beschreibt, der das Bier der armen Arbeiter mit Wasser streckt, um mehr zu verdienen. Auch mit Köstlichkeiten hat das Lied „The Berry Fields Of Blair“ zu tun. Die besungenen Beerenfelder gehören nicht dem ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair, sondern liegen in einer Gegend von Schottland, die so heißt (Blairgowrie in Perthshire). Dorthin gingen in früheren Zeiten Menschen während der unbezahlten Betriebsferien ihrer Fabrik, um sich mit Beerenpflücken über Wasser zu halten. Neben der Arbeit wird es für die Beerenpflücker sicherlich auch Unterhaltsames gegeben haben. Auch dieses Lied sang John ohne Instrumentalbegleitung.
Keinen offensichtlichen Bezug zum Thema des Abends hatten die Lieder, die sich John Hay ausgesucht hatte. „Chasing Cars“ von Snow Patrol ist ein Liebeslied. Den Bäumen, die bereits im vorigen Folk Club Thema waren, hatte John sein selbst geschriebenes Lied „A Tree That Is Mine“ gewidmet. Der Baum, den er besingt, hat seine Wurzeln fest und tief in den Boden getrieben. Ist es eventuell ein Lied über John selbst? Mir gefällt es! Auch „Caledonia“, das wir bereits im Juli von Don Bartlett präsentiert bekamen, kann man immer wieder gern hören. Das Lied besingt Schottland, dessen lateinischer Name Caledonia lautet. Offenbar ist Schottland ein wahrer Sehnsuchtsort, nicht nur für Schotten. Obwohl die Offensichtlichkeit beim Bezug zum Thema fehlte, kann man alle drei Lieder mit ein wenig Phantasie alle drei in die Kategorie „andere Köstlichkeiten“ einreihen.
Allmählich beinahe fester Bestandteil der Folk-Club-Crew ist die 13jährige Yawen, die seit ihrem ersten Auftritt im Folk Club sichtlich gereift und wie immer locker und ohne Scheu ihre Lieder vortrug. Diesmal waren es das harmonisch nicht einfache „Yesterday“ von den Beatles und „Monsters“ von Katie Sky, mit denen Yawen das Publikum begeisterte. Mach weiter so, Yawen, und verzaubere dein Publikum.
Mit „Nobody Knows You, When You’re Down And Out” schlug Stephan Weidt einen richtig guten Bogen zum Thema, denn das Lied, ein Blues, bezieht sich in einer Textzeile auf illegal gebrannten Schnaps („bootleg liquor“) und macht damit auch eine Anspielung auf die Flüsterkneipen in der Zeit der US-amerikanischen Prohibitionszeit. Das Lied wurde im Jahre 1923, also vor genau 100 Jahren geschrieben. Stephan sang es beeindruckend und steuerte eine ausgereifte Gitarrenbegleitung mit perfektem Fingerpicking bei. Bessie Smith, die das Lied erstmals 1929 kurz vor Ausbruch der katastrophalen Weltwirtschaftskrise mit ihrem unnachahmlichen Gesang bekannt machte, hat bestimmt am Himmelspöötzche zugehört und applaudiert.
Der angekündigte Featured Artist des Abends hieß Johnny Campbell und stammt aus dem nordenglischen Huddersfield zwischen Leeds und Manchester. Johnny pflegt die ursprüngliche Folk-Club-Kultur britischer Kneipen mit Liedern, die die Lebenswelt und die Sorgen der kleinen Leute thematisieren. Johnnys Repertoire besteht aus traditionellen Liedern (zu Deutsch: Volksliedern), teilweise mehr oder weniger bearbeitet. Johnny hatte aber auch komplett selbst verfasste Lieder im Gepäck. „Derby Ram“ ist eines der traditionellen Lieder aus Mittelengland, und es besingt einen Schafbock von angeblich enormer Größe (irgendwo in der Dimension eines Elefanten!). Das witzige Lied bekam in seiner langen Existenz viele Strophen hinzugedichtet. Johnny beließ es aber bei einigen wenigen – dennoch ein großer Spaß. Ebenfalls Volksgut ist das Lied „Lish Young Buy-A-Broom“, das aus Yorkshire stammt und das auf Johnnys CD zu hören sein wird, die im Januar veröffentlicht werden soll. Der Liedtitel bezieht sich auf eine hübsche („lish“ im nordenglischen Dialekt) Hausiererin, in die sich ein junger Mann verguckt und mit der er weiterzieht. Warum sie sich aber – so der Liedtext – in Richtung Deutschland auf den Weg machen will, bleibt ein Geheimnis. Jedenfalls bleibt der junge Mann daheim, und das war’s. Johnny präsentierte diese und die weiteren Lieder mit einer wirklich beeindruckenden, variablen und kontrastreichen Stimme, die wahrlich keiner Verstärkung bedurfte. Hinzu kam transparente und virtuose Gitarrenbegleitung – einfach großartig. Auch einen Sea Song präsentierte Johnny, also ein Seemannslied. „Homeward Bound“ lautete der Titel. Das Lied berichtet von den Erfahrungen eines Seemanns aus Liverpool. Johnny hat es für seine CD im Hafen von Liverpool aufgenommen.
„Complaints“ ist der Titel eines eigenen Liedes, das Johnny geschrieben hatte, als er einst in Bergnot war und auf seine Retter wartete (true story!) – wie dramatisch! Immerhin ist die Melodie doch recht fröhlich – er wurde ja am Ende auch gerettet. Warum das Lied trotzdem „Beschwerden“ heißt, auch das bleibt ein Geheimnis.
Eines von Johnnys wichtigsten Themen ist das Recht des Bürgers, sich frei in der Landschaft zu bewegen. Das ist in England (im Gegensatz zu Schottland) in den allermeisten Fällen nicht gegeben. 95 % des Landes sind – so Johnny – für Wanderer versperrt. Das ist in der Tat so und hat seine Ursprünge in der Art der Verteilung des Landes nach der Abschaffung des Feudalsystems, die völlig anders verlief, als im Rest Europas. Es gibt in England jedenfalls nicht die für uns völlig alltägliche Möglichkeit, überall auf zahlreichen Pfaden durch Felder und Wälder zu wandern. Fast überall ist die Landschaft durch Zäune und Hecken gegenüber der Öffentlichkeit abgesperrt. Gegen die Landnahme und die Großgrundbesitzer hatten bereits im 17. Jh. aufgebrachte Menschen in einer großen Demonstration protestiert. Johnny widmete sein Lied „The Right to Roam“ diesem frühen, aber im Effekt vergeblichen Protest.
Nach der Pause starteten John Harrison (Resonatorgitarre, Gesang), John Hurd (Gitarre) und Christoph Thiebes (Mundharmonika) mit Curtis Mayfields Lied „People Get Ready”. Das Lied aus dem Jahr 1965 thematisiert in allegorischer Weise („So, people get ready for the train to Jordan; Picking up passengers coast to coast; Faith is the key, open the doors and board 'em; There's hope for all among those loved the most“) die Emanzipation der Menschen und zielt insbesondere auf die Schwarzen in den USA.
Mario Dompke erinnerte danach wieder an das Thema des Abends und steuerte zwei seiner eigenen Lieder bei. Bei „Drachenblut“ einem Lied über die Macht, die einzelne Personen ausüben können, muss man allerdings für den Bezug zum Thema schon etwas um die Ecke denken. Das Lied kommt vordergründig witzig daher, regt aber zum Nachdenken an. Eindeutig ist das Thema aufgegriffen im „Trunkenheitslied“ mit dem Refrain „Gut gebrautes Bier, ausgegorener Wein, rinnen meine Kehl‘ hinab, sterben muss ein jeder Mensch einmal, drum geh‘ ich lustig in das Grab“, das dem Publikum viel Spaß machte. Bravo Mario!
Einen bemerkenswerten Auftritt mit Instrumentalstücken hatte Knut Rausch, ein Schüler des Gitarrenvirtuosen Simon Wahl. Simon, der aus Bonn-Oberkassel stammt, hatte vor Jahren umjubelte Auftritte im Folk Club mit seinem atemberaubenden Gitarrenkönnen und lebt jetzt als Gitarrenlehrer in Wien (gab es nicht vor gut 200 Jahren schon einmal einen Bonner Musiker, der nach Wien ausgewandert war?). Knut präsentierte Simons Schule in bester Manier mit dem Stück „September“, ferner mit einem Instrumentalmedley mit Teilen aus Davy Grahams „Angie“ und Chet Atkins‘ „Windy And Warm“. Der Folk-Klassiker „Scarborough Fair“ bildete den Abschluss des Auftritts. Toll gespielt, Knut, bestelle schöne Grüße an Simon Wahl und komm‘ bald wieder!
Bereits eine Folk-Club-Legende ist Dennis Ledermann, der hier vor etlichen Jahren seine ersten Gehversuche auf der Bühne unternahm und inzwischen ein gereifter Musiker ist. Zum Thema des Abends passte „Tennessee Whiskey“ von Country-Größe Chris Stapleton. Dass Dennis mit dem Text (You Are As Smooth As Tennessee Whiskey, You Are as Sweet As Strawberry Wine) nicht nur das Thema bediente, sondern auch noch auf etwas Anderes abzielte, offenbarte sich nach seinem Auftritt. Erst folgte – welch eine Ehre – Dennis‘ speziell dem Folk Club gewidmeter Folk-Club-Song mit dem Refrain „Jeden Monat dieses Fieber, kommt der erste Freitag wieder“ – herrlich! Von Florian Künstler stammt das Lied „Kleiner Finger Schwur“ – wunderbar gesungen und gespielt.
Tja, und dann kam der Knaller des Abends: Dennis machte
seiner Freundin vor versammeltem Publikum einen Heiratsantrag und erhielt eine
glatte Zusage. Wie romantisch! So ist der Folk Club. Hier spielt das pralle
Leben. Viel Glück den beiden. Unter uns: Ich bin sicher und habe aus zuverlässiger Quelle Hinweise erhalten, dass Dennis den Antrag nicht ohne Netz und doppelten Boden gemacht und seine Angebetete vor allen Augen überrumpelt hat. Die Sache war schon vorher - auch ganz romantisch - in trockenen Tüchern. Dennis ist schließlich ein Gentleman. Aber schön ist die Geschichte doch - eine richtige "true story".
Nach diesem kleinen Intermezzo durfte Johnny Campbell wieder auf die Bühne und startete – voll im Thema – mit einem a capella gesungenen Klagelied über den Verfall der britischen Pubs. Das Lied stammt vom irischen Liedermacher Con Fada Ó Drisceoil. Johnny hatte das Lied leicht abgewandelt und den besungenen Pub kurzerhand aus Irland nach Yorkshire verfrachtet. Überall stehen nur noch Pool Billards, hängen Dartscheiben oder, noch schlimmer, Fernseher, die vom eigentlichen Zweck des Pubbesuchs ablenken. Das Schöne am Pub sei doch, so Johnny, dass man Menschen treffe, mit ihnen rede, sich streite, sich versöhne und mit ihnen einen kommunikativen Abend verbringe. Stattdessen sehe man nur noch die Hintern der Leute, die sich gerade über den Pool-Tisch beugen. Aus Lancaster stammt das anschließende ebenfalls wunderbar a capella vorgetragene Lied „Four Loom Weaver“ über das schwere Leben der Weber, die mit ihren Handwebstühlen nicht mehr mit der Industrie konkurrieren konnten. Johnny sang das Lied im regionalen Dialekt Lancashires, das Verstehen war daher etwas eingeschränkt. In the „Roving I Will Go“ reflektiert Johnny seinen eigenen Lebensweg und macht zudem eine Anspielung auf seine Liebe zum Wandern. „The Dalesmean’s Littany“ ist ein altes Lied aus Johnnys Heimat über die Not der Landbevölkerung, die gezwungen war, in den Fabriken in den aufstrebenden Städten zu arbeiten. „From Hull And Halifax And Hell, Good Lord Deliver Me” lautet der Refrain und spielt auf die schrecklichen Zustände in den nordenglischen Industriestädten im 19. Jahrhundert an.
Ebenfalls mit den Verhältnissen in der industriellen Arbeitswelt des 19. Jahrhunderts beschäftigt sich das Lied „Song On The Times” aus den 1840er Jahren. „Arouse, you sons of freedom, the world seems upside down“ lautet der Refrain. Das Lied wurde in den 1980er Jahren wieder bekannt gemacht durch die Gruppe „Chumbawamba“.
Wieder zurück zum freien Wandern: Im Jahr 1896 gab es eine Protestaktion von Bürgern in der Gegend von Bolton in Nordengland, die sich den freien Zugang zu einem Hügel, „Winterhill“ erkämpften. „Winterhill Trespass“ wurde die Aktion genannt und bildete sozusagen den Start für all jene, die sich das „Recht zum Wandern“ (Right To Roam) erstreiten wollten und wollen. Johnny hatte hierzu ein eigenes Lied verfasst. Nochmals das Thema „Hartes Leben der Arbeiter“ behandelte das ebenfalls von Johnny selbst verfasste Lied, „Hard Times Of Old England“, mit dem er Geld für „Food Banks“ (zu Deutsch „Tafeln“) im Winter 2020 eingesammelt hatte. Offenbar sind Tafeln in England noch zahlreicher als in Deutschland. Den Abschluss seines Auftritts machte Johnny mit einem weiteren eigenen Lied über einen Mann aus dem irischen Sligo („The Man From Sligo“), der gezwungen ist, aus dem damals bitterarmen Nordwesten Irlands nach England auszuwandern. Dort ging es den ausgewanderten Iren besser als daheim. Viel zu Lachen hatten sie dennoch oftmals nicht. Das wieder mit Johnnys beeindruckender Stimme a capella gesungene Lied ging tief unter die Haut.
Bravo, bravo, Johnny! Wir freuen uns schon darauf, dass du uns im kommenden Jahr wieder besuchst.
Nun, ganz am Ende des Abends waren wir noch nicht, denn Gerd Schinkel, der eigentlich nur als Zuhörer gekommen war, nahm flugs ein Lied aus seinem Repertoire und widmete es den frisch Verlobten. Mit „Bestes Stück“ rührte er die beiden beinahe zu Tränen. „Ihr wollt es wagen, ihr habt Mut“ lautet der Beginn.
Trotz der schon ziemlich vorgerückten Zeit mochte die Meute nicht auf die Huldigung an den alten Schotten Jock Stewart verzichten, A man, you don’t meet every day.
Auf Wiedersehen am 3. November unter anderem mit den Musikern der Gruppe Bonn Choro (früher Bonner Roda), die bereits im April dieses Jahres mit einem Floor Spot für Furore gesorgt hatte.
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