Freitag, 18. Oktober 2024

Marios Bericht vom Folk Club Nr. 150 am 4.10.2024

 

Goldener Oktober mit gemütlichen Abenden oder doch eher politisch mit geopolitischen Trennungen

Das Motto des Abends lautete „Gemütliche Abende, der wahre Norden, die nordenglischen Grafschaften und andere physische und geopolitische Trennungen“. Ist dies sperrig oder nur weit gefasst. Ist dies familiär gemütlich oder doch ehemalige und existierende politische Spannungen beschreibend. Wahrscheinlich von jedem etwas und so gestaltete sich auch der Abend, der – wie immer – mit dem aus tiefster Seele kommenden Begrüßungsruf „Laaaaadiiiees and Gentlemeeen, Mesdames et Messieurs…..“ unseres Zeremonienmeisters John Harrison begann. Ja, unser John hat nach wie vor eine kräftige und „sammelnde“ Stimme, womit er immer die Ruhe schafft, die eine verstärkerlose Atmosphäre benötigt. Und nicht nur mit seinem Ruf eröffnete er den 150. Folk Club, sondern, wie gewohnt, mit seinen ans Thema angepassten Gedicht- und Liedbeiträgen. „The Green Man“ von Martin Donnelly beschrieb metaphysisch alle Aspekte des Abends – Natur, sowohl in Fauna wie auch in Flora Bezügen, lässt sich nicht geopolitisch trennen, Natur verschafft Gemütlichkeit, Natur gedeiht im wahren Norden (na gut, woanders auch, aber passt hier so schön zum Thema), und Natur ist halt die Basis allen Lebens und somit auch die mythologische Personifizierung der Natur – The Green Man.

„The Dove“ setzte als Gedicht das Thema fort und beschrieb den Fluss Dove, welcher die englischen Grafschaften Staffordshire und Derbyshire trennt und somit eine natürliche Linie in geopolitischen Zusammenhängen darstellt. Eine eher physische Trennung zwischen arm und reich beschrieb das nächste Lied „To The Begging I Will Go“, doch die seelische Trennung, die sich quasi umkehrt, wird auch beschrieben. Der Erfolgreiche muss sich immer Sorgen machen, dass er alles verliert, er muss sich von Notwendigkeiten leiten lassen. Der Bettler kann sich einfach hinsetzen, wenn er müde ist und empfindet seinen Handel als den Besten, den es auf der Welt gibt. Nun gut, man kann sich jede Situation schön reden :-). Aber bleiben wir bei Betrachtung des Bettelns als Profession, dann fällt heute auf, dass diese Profession ohne Steuerlast und ohne Gewerbekosten ausgeführt werden darf (stellt euch nur mal vor, ihr legt einem Bettler 10,-- € in den Hut und erhaltet als Antwort nicht Danke, sondern „es fehlen noch 1,90 € MwSt“) – ein musikalischer Handwerker - also ein Straßenmusiker – muss aber vor der Ausübung seiner Profession heutzutage in den meisten Fällen im Vorfeld einen Genehmigungsschein kaufen – also sozusagen die Steuer auf seine Einnahmen bezahlen, bevor er diese überhaupt erzielt hat. Und zu diesem Thema hat John auch ein Gedicht vorgetragen („Buskers“), welches er von Alec Rapkin übernommen hat. Mit dem wunderschönen Lied „Beeswing“, welches über die Rastlosigkeit einer Frau handelt, die aus „geordneten“ Verhältnissen ausbricht und als Roving Woman ihr weiteres Leben gestaltet, beendete John seine Einführung in den 150. Folk Club.

Gefolgt wurde John von Thomas Monnerjahn & Ismael de Barcelona. Zwei Ausnahmemusiker, auf die wir schon eine Weile gewartet hatten, bei denen es terminlich aber erst jetzt geklappt hat. Eine medizinische Frage zwischendurch – wisst ihr wieviel Finger an einer Gitarristenhand sind? Bei diesen Beiden ist die Frage nicht eindeutig zu beantworten. Biologisch sicher fünf, musikalisch aber mehrere hundert. Bei der Geschwindigkeit, mit der virtuose Läufe des Flamenco oder Tango gespielt wurden, könnten die Augen die Finger auch nicht mehr zählen. Aber in der Musik ist das auch nicht so wichtig. Viel wichtiger war, dass jeder einzelne Ton, egal wie schnell, kurz hart oder weich angespielt, zu hören war – das ist eine große Kunst, die ich sehr bewundere. Mit dem „Entre dos Aguas” von Paco de Lucia zogen die Beiden das Publikum in ihren Bann. Mit “Rio Ancho” von Paco de Lucia und Al di Meola brachten sie das Publikum in musikalische Verzückung, aber auch durch die Ankündigung, dass dies ihr letzter Beitrag des Abends wäre, an den Rand der Verzweiflung. Glücklicherweise leben wir in einer Demokratie (hoffentlich noch lange), in der durch Proteste auch Entscheidungen revidiert werden können – und so brachte der vehemente Protest gegen das Aufhören – auch Zugabenapplaus genannt – eben diese, eine Zugabe in Form des „Tango Nueve de Julio” von José Luiz Padula. Ich würde wirklich gerne viel mehr über die Virtuosität und den Genuss schreiben, aber mir fehlen einfach passende Worte. Ihr könnt es aber selbst erleben, denn im Januar darf der Folk Club die Beiden als Featured Artists begrüßen und dann bekommen wir mehr zu hören.

Ein weiterer toller Musiker, der uns schon ein paar Mal begeistert hat, kam nun in Gestalt von Shay McVeigh auf die Bühne. Shay versteht es, die unterschiedlichsten musikalischen Genres in hörbare akustische Version des Gesangs mit einfachen Gitarrenbegleitungen zu übersetzen. So brachte er uns das Countrylied „Dream Of Highway” in einer schönen eigenen Akustikversion dar. Mit “Carmelita“ von Fred Eaglesmith blieb er der Straße und dem Roadmovie treu.  Mit „Dust“ von The Dead Tongues wanderte Shay ein Stück in die balladeske Rockmusik, die aber von ihm auch wieder sehr gut in eine rein akustische Version übersetzt wurde. Insgesamt war Shays Darbietung eine sehr würdige und gute Überleitung in den Featured-Artist-Act des Abends.

Diesen gestaltete, wie bereits im Vorjahresoktober, Johnny Campbell. Ein Musiker aus Nordengland, der sich dem Aufleben traditioneller Folksongs und dem Schreiben eigener Stücke in eben diesem Stil verschrieben hat. Mit sehr detaillierten Erläuterungen zu den einzelnen Liedern übersetzte er das Motto des Abends in musikalische Lyrik. Mit dem „Derby Ram“, einem Lied über einen riesigen Schafbock, begann er. Die Erläuterung, dass über die Jahrhunderte immer neue (Lügen)Geschichten über den Derby Ram zu immer neuen Strophen gemacht wurden, endete in der scherzhaften Erklärung, die kommenden 45 Minuten mit der Darbietung aller ihm bekannten 400 Strophen verbringen zu wollen. Das hat er dann doch nicht gemacht, aber die wenigen ausgewählten Strophen brachte er a cappella mit kräftiger, ausdrucksstarker und den Inhalt betonender Stimme dar. Die sich romantisch entwickelnde Geschichte eines jungen Mannes, der eine Besenverkäuferin/ -binderin auf der Straße trifft, präsentierte uns Johnny mit ausdrucksvoller Gitarrenbegleitung. Auch wenn wir das Lied Homeward Bound wohl alle von Simon and Garfunkel kennen, so dürfen wir dieses nicht mit dem „Homeward Bound“ Seemannslied verwechseln (darauf wies Johnny extra hin). Das Lied beschreibt, wie die Seeleute erwartungsvoll das Ablegen ihres Schiffes von den Blackwall Docks erleben und erst 10 Monate später eben dort wieder anlanden, und ihre Heuer mit netten jungen Mädchen, die so ihren Lebensunterhalt verdienen, durchbringen. Danach beginnt das Spiel von vorn :-). Mit „Bonny At Morn“ unterhielt uns Johnny mit einem Lied, von dem ich nicht wirklich sagen kann, ob ich den Sinn verstanden habe. Es ist ein Schlaflied, aber nicht um Babys in selbigen zu lullen, sondern eher um eine Ausrede für Untätigkeit zu finden. Gleichzeitig aber beschreibt diese Untätigkeit das Untertauchen von Outlaws – also eher eine Verdammung zur Untätigkeit als etwa Faulheit. Ja, traditionelle Lieder beschreiben oft wesentlich mehr, als der vordergründige Text erwarten lässt. Mit einem weiteren Lied dieser Manier entließ uns Johnny in die Pause. „Here’s The Tender Coming“ ist ein Lied über das Leid nach unüberlegten Taten – nämlich zuviel Trinken auf Kosten Anderer. Für die Marine brauchte man soldatische Matrosen, und da die Lust an Kriegen eben nicht ausreichte, um genügend Personal zu rekrutieren, gab es die sogenannten Press Gangs, die in den Pubs der Häfen jungen Männern solange Rum und Ale spendierten bis diese in ohnmächtigen Schlaf fielen – aufgewacht sind sie aus diesem Schlaf als gepresste Matrosen auf den Schiffen.

Bleiben wir bei Johnny Campbell und berichten noch über seinen zweiten Part zum Ende des Folk Clubs. In der zweiten Hälfte konzentrierte sich Johnny auf eigene Songs, wobei er, wie bereits beschrieben, dem Stil treu blieb. „The Roving I Will Go“ spricht aus dem Titel schon für den Inhalt. Umherziehen, leben aber auch mit Widrigkeiten fertig werden, dass ist das Leben eines fahrenden Musikanten. Konkret beschreibt das Lied die Bewältigung eines beliebten Wanderweges in Schottland. „A Right To Roam“ ist ein Protestsong von Johnny, in dem angeprangert wird, dass in England etwa 90% des Landes sich in Privatbesitz befindet, in der Regel eingezäunt ist und nicht beliebig betreten werden darf. Erholung in der Natur ist so für die Arbeiterklasse nicht einfach. „Travellers“, als nächstes dargeboten, ist ein Song, den Johnny während seiner ersten USA Tour geschrieben hat. In Wilmington hatte er einen Auftritt und wunderte sich über die hohe Polizeipräsenz, worauf ihn sein Gastgeber erzählte, dass die Hauptstraße von Wilmington die höchste Mordrate hat und somit die Sicherheitsanstrengungen gerechtfertigt wären. Johnny zog sich daraufhin die drei Tage seines Aufenthaltes in ein Hotelzimmer zurück und da er nichts anderes zu tun hatte, schrieb er dieses Lied in Gedenken an die Travellers Bob Dylan, Woody Guthrie und andere. Mit „John Clare’s Dream“ beschreibt Johnny den Traum des Dichters John Clare, dass die Privatisierung von Land durchbrochen und wieder freie Bewegung in England möglich sei. Einen ähnlichen Zusammenhang hatte sein letztes Lied des Abends nämlich „Winter Hill Trespass“. Der Marsch auf den Winter Hill dem zehntausend Marschierende mitmachten, um für die Nutzung von Land zu protestieren, endete auf dem Winter Hill, mit durstigen Kehlen, in den dort lediglich zwei existierenden Pubs. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie lange ich auf ein Bier warten muss, wenn fünftausend Menschen vor mir am Tresen stehen:-). Bleibt noch zu sagen, dass ich gespannt bin, ob Johnny Campbell im nächsten Oktober wieder im Folk Club ist und nach Simon Kempston eine weitere Dauergast-Tradition eröffnet.

Aber zurück zu den anderen Künstlern des Abends. Gerd Schinkel, oft gesehener und gehörter Musiker im Folk Club, gab sich anlässlich des Todes von Kris Kristofferson die Ehre, dem Künstler eben diese zu erweisen und drei seiner Lieder mit einem deutschen Text zu präsentieren. Viel muss zu den Inhalten gar nicht gesagt werden, denn ich denke, fast jeder kennt sowohl Melodie und Inhalt der Stücke „Sunday Morning Coming Down”, “To Beat The Devil” und “Me and Bobby Mc Gee”. Gerd Schinkel hat den Inhalt wunderbar ins Deutsche übersetzt, wobei übersetzt hier nicht heißt, dass eine wortgetreue Übersetzung stattfand, sondern ein deutscher Text Sinn und Gestalt des Liedes wiedergibt. Auch wenn in den letzten Jahren deutsches Liedgut wieder häufiger anzutreffen ist (auch außerhalb von Schlagern), so ist das anspruchsvolle Lied in deutscher Sprache eher selten zu finden. Und Gerd Schinkel ist einer derjenigen, die genau diese Tradition aufrechterhalten.

Angelockt durch das Motto „der wahre Norden“ und die Gelegenheit Werbung für ein Andy Irvine Konzert in Bad Honnef am 6.11. zu machen, kam Jutta Mensing in den Folk Club. Leicht erkältet und somit mit etwas kratziger Stimme sang sie das wunder- und stimmungsvolle Lied von Knut Kiesewetter „Fresenhof“, welches sowohl den wahren Norden wie auch die Gemütlichkeit am warmen Kamin an einem Herbsttag beschreibt. Motto getroffen, sehr gut. Euer Chronist, also ich, durfte Jutta bei diesem Lied auf der Gitarre begleiten. Und einmal auf der Bühne, ergriff ich die Chance und sang ein weiteres Lied – aus meiner eigenen Feder – über abendliche Gemütlichkeit. In diesem Fall über das Spielen und Toben vor dem Schlafengehen mit dem eigenen Sohn. Nun das Lied ist schon alt und demnächst wohl eher auf dieses Ritual mit dem Enkel gerichtet.

Geduldig wartete Wolfgang Schriefer beim vergangenen Folk Club auf seinen Einsatz und da die Zeit an diese Tag sehr weit fortgeschritten war, verzichtete er auf seine Präsentation. So viel Entgegenkommen darf belohnt werden, weshalb Wolfgang diesmal mehr und echte Zeit zur Verfügung bekam. Und die nutze er. Mit einem Gedicht aus eigener Feder, „Das Leben in Nuancen“, beschrieb er die Einbettung des Folk Clubs als beständigen Teil seines Ruhestandes. Mit „Bahnfahren war einmal“ nahm er zu einer Melodie von Nirvana (About A Girl) die aktuelle Situation der Zug- und Straßenbahnausfälle zwar auf die Schippe, jedoch mit grollendem Hintergrund – denn er kommt normalerweise mit der Bahn zum Folk Club. Mal sehen, wann sich Wolfgang Schriefer und Holger Riedel (Schrankenblues) zusammentun, um aus den jeweiligen Werken ein Wegblues Potpourri zu machen. Ausschnitthaft in eine Erzählung eingebettet sang Wolfgang dann noch „I’m A Blind Man“ und „Father And Son“ an, um dann zum Abschluss, gemeinsam mit dem Publikum, das melancholische Lied „Niemals geht man so ganz“ von Trude Herr darzubieten.

Hab‘ ich zum Abschluss geschrieben? Nein natürlich nicht, denn erst kam ja noch Johnny Campbell zurück auf die Bühne und danach, zum Abschluss, kamen alle Künstler auf die Bühne, um gemeinsam mit dem Publikum dem Patron des Folk Club zu huldigen. Tja, wir haben in der Sammlung nun 150 Versionen von „Jock Stewart“.

Träumt noch eine Weile vom vergangenen Folk Club, aber freut euch auch schon auf den nächsten – am 8.11.2024 mit dem Schweizer Gitarristen Attila Vural. Achtung, liebe Leute, ich habe mich beim Datum nicht verschrieben. Wegen des stillen Feiertags Allerheiligen am Freitag, den 1. November müssen wir den Folk Club um eine Woche verschieben.

Out of the bedroom

Euer Mario

 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen