März 2022 – Endlich wieder Folk Club!
Die Corona-Infektionszahlen sind hoch und dennoch! Erstmals seit November 2021 gab es am 4. März 2022 wieder einen (fast) regulären Folk-Club-Abend. John Harrison hatte gezählt: es war die Nummer 121. „Fast regulär“ schreibt euer Berichterstatter, weil erneut elektrische Verstärkung zu Hilfe genommen werden musste. Die Veranstaltung war aus mehreren Gründen (u.a., um die Infektionsgefahr zu verringern) auf die überdachte Balkon-Terrasse vor dem BTHV-Lokal verlegt worden. Dort ist die Akustik für ein Konzert ohne Verstärkung leider zu dürftig. Trotz der äußeren Widrigkeiten – das Organisationsteam verlangte zusätzlich zur Immunisierung auch einen Test von allen Teilnehmern – kamen doch fast dreißig Folk-Club-Enthusiasten, um zu spielen oder einfach nur um zuzuhören und sich wohl zu fühlen.
Traditionell eröffnete John den Abend, diesmal unterstützt von Harmonika-Ass Christoph Thiebes. „Stack O-Lee“ ist der perfekte Bösewicht. Der Blues beschreibt in wenigen Worten seine mörderischen Untaten und seine „gerechte“ Strafe am Galgen. Ja, so einfach ist das: Du bist böse, dann wirst du gehängt. In der wahren Welt sieht es doch meist anders aus. Zu viele wirklich böse Menschen kommen ohne Strafe davon, und entsprechen Hängen oder andere Todesstrafen noch unseren Moralvorstellungen und hätten sie je der Moral zumindest der Christenheit entsprechen dürfen? Viele Fragen, aber der Bezug zu einem Menschen, an dessen Händen aktuell viel Blut klebt, dürfte ganz offensichtlich sein. Leider gibt es für diesen Menschen und seine Gefolgsleute keinen „police officer“, der wirksam eingreifen und dem Töten ein Ende setzen kann. John und Christoph gaben dem gruseligen Geschehen einen würdigen musikalischen Rahmen.
Als kleinen und immer wieder gern gehörten Werbeblock nutzt John den Night Watchman Blues von Big Bill Broonzy. Immerhin arbeiten sowohl John als auch Christoph als Nachtwächter, die Touristen durch das abendliche Bonn am Ende des 17. Jahrhunderts führen, John in englischer und Christoph in deutscher Sprache. Auch dabei ist einiges Vorstellungsvermögen erforderlich, um sich in diese vergangene Zeit zu versetzen. Aber John hat ganz recht, wenn er sagt, dass das Vorstellungsvermögen das beste Vermögen sei, das man besitzen könne.
Bei „Twelve Gates to The City“, einem traditionellen Gospel-Lied, konnte Christoph es mal richtig auf seiner Harmonika krachen lassen, absolut hörenswert! John hatte das Lied, das sich auf die zwölf Tore des neuen Jerusalem (Kapitel 21 der Offenbarung des Johannes) bezieht, auf Bonn umgemünzt, dessen 1644 fertig gestellte Stadtmauer seinerzeit ebenfalls zwölf Tore hatte. War das ein Zufall, oder wollten die Erbauer der Stadtumwallung mit dieser Anzahl der Tore eine Referenz an das neue Jerusalem senden?
Um andere, ebenso verabscheuungswürdige Kriege nicht vergessen zu lassen, spielten John sein Lied „1001 Protest Song“ über die Widersinnigkeiten in der Welt. Menschen verhungern in einem Land, während in einer anderen Weltregion mit Nahrungsmitteln im Überfluss Geld verdient wird. Im Krieg sterben Menschen, werden verstümmelt oder wissen nicht, wie sie ohne Ernte überleben sollen, und zur gleichen Zeit gönnen sich die Verwandten der geschundenen Menschen in einem anderen Land ein Leben in Luxus.
Ebenso ergreifend ist Johns Lied über den Krieg in Bosnien in den Jahren 1992 bis 1995. „Trouble And Strife“ beschreibt, wie der dünne Firnis der Zivilisation im ehemaligen Jugoslawien in einer Explosion von Gewalttätigkeiten zwischen ehemals zusammenlebenden Landsleuten zerbröselte.
Gegen die verstörenden Lieder der beiden „alten Herren“ war der erfrischende Vortrag der elfjährigen Yawen Liu aus Köln eine wahre Erholung. Kann das sein, dass ein elfjähriges Mädchen so locker und frei auftritt? Ohne Umschweife und schüchternes Getue, wie manch anderer Erwachsener, stellte sie ihre Lieder vor und legte gleich mit klarer, sicherer Stimme und schöner Gitarrenbegleitung los: „Payphone“ ist ein Lied der Band Maroon 5 (Leute, das musste ich auch erst mal im Internet nachschauen) mit dem Rapper Wiz Khalifa. Dafür, dass Yawen nach eigenem Bekunden erst seit einem Jahr Gitarre spielt, war Ihre Begleitung sensationell.
Bei „Let it Be“ von den Beatles durfte sich das Publikum zudem deutlich stärker einbezogen fühlen. Yawen lud alle zum Mitsingen ein, und die meisten gehorchten auch brav. Yawen, mach‘ weiter so und komm bald wieder zum Folk Club!
Cayu ist eine Gruppe um John Hay, der sie mit Kollegen aus dem UN-Klimasekretariat in Bonn geformt hat. Inzwischen verstärken Musiker, die links und rechts des Wegs „eingesammelt“ wurden, die Truppe. Am heutigen Abend waren dies Alex Gellert Paris mit dem Schlagzeug, dessen Bruder Ricardo am Bass, und seit einiger Zeit bringt sich Eva Henneken mit ihrer Geige und auch mit ihrer Stimme ein.
Gleich das erste Lied stammt zudem aus Evas Feder: „Hour Glass“ beschreibt das Leben eines Paares, das sich nur zu den Wochenenden trifft und dessen Leben langsam aber sicher auseinanderdriftet – schön und verstörend zugleich.
Auch das Lied „Tomboy Girl“ hat Eva selbst geschrieben. Es handelt von einer außergewöhnlichen und zudem auch besonders schönen Frau aus dem Freundeskreis von Eva.
Ebenfalls einen persönlichen Bezug hat das Lied „Stella“ von John Hay. Es beruht auf einem Gedicht von Johns Bruder. Der ist Hobbyastronom und geht tagsüber in ein Café, um sich von seinen nächtlichen Beobachtungssitzungen zu erholen. Sinnigerweise heißt die Bedienung Stella, also Stern. Eine Begebenheit zwischen Stella und einem anderen Gast, der Stella für sich zu gewinnen sucht, bildet die Grundlage für den Liedtext – wunderbar umgesetzt von Cayu.
Manch einer erholt sich am Abend nach Konferenz-Sitzungen an der Bar, John Hay verkrümelt sich stattdessen auf sein Hotelzimmer und schreibt Lieder. So geschehen bei der Klimakonferenz in Glasgow im November vorigen Jahres, als John dort als Mitarbeiter des UN-Klimasekretariats zu tun hatte. Herausgekommen ist der „Glasgow-Climate-Song“, über das Ergebnis der Konferenz der als schwungvolles schottisches Lied daherkommt. Aber in die harmonischen Töne mischt sich so manche Dissonanz.
Mit „Troubadour Revelation“ hat sich John Hay die Lust daran, Musik zu machen, vom Leib geschrieben. Ja, es macht auch Spaß, dieser Musik zuzuhören.
Cayu, ihr seid ein wahrer Edelstein, voller Überraschungen und Ohrwürmer.
Natürlich dürfen an einem Folk-Club-Abend Gedichte nicht fehlen. John Harrison, unser Hauspoet, hat zwei zum meteorologischen Frühlingsbeginn passende Stücke parat: „Snowdrops“ oder „Spring is Sprung“ ist ein ganz neues Opus über die lieblichen Schneeglöckchen, die uns den nahenden Frühling ankündigen.
„Small, yet so strong, telling all around
That the Green Man is awakening and spring
Will soon shake the very ground alive again,
With new life and new hope”
lautet die Schlussstrophe. Ja, Hoffnung und neues Leben können wir gut gebrauchen.
Auch die Forsythie, der John ein weiteres Gedicht gewidmet hat, ist eine Frühlingsbotin, wenn sie auch gewöhnlich erst blüht, wenn der Frühling bereits im vollen Gang ist. In diesem Jahr blüht sie zumindest in unserer Gegend bereits sehr früh, fast zu früh. Sei’s drum, den Bienen hat sie ohnehin nichts zu bieten, sie ist nur schön in ihrer gelben Pracht.
Dasselbe Thema nahm sich Mario Dompke mit seinem Frühlingslied vor, bei dem er von Eva, Sonja, Christoph, John Hay und John Harrison unterstützt wurde. Schwungvoll im Dreivierteltakt konnten die Musiker sich damit ein wenig gegen die doch langsam heraufkriechende Kälte wehren.
„Jeder gehört nur sich allein“ ist ein Klassiker aus Marios Feder, wunderbar vorgetragen zusammen mit Sonja, und auch mit dem Gitarrenspiel klappte es trotz anfänglich kalter Finger prima. Sonjas Werk ist das Lied „Vollmondnacht“, das zumindest von den erwähnten Temperaturen gut zur aktuellen Situation passt. Marios Finger waren aber inzwischen hübsch warm geworden und ließen ihn beim Fingerpicking nicht im Stich. Zum Schluss sangen und spielten Mario und Sonja ein Lied, das nach Marios Erinnerungen das erste war, das er im Folk Club gespielt habe. Im Duett gesungen entfaltet das Lied „Die Antwort, wenn’s stimmt, die weiß nur der Wind“ einen einfachen aber bezaubernden Charme.
Natürlich durfte am Ende des Abends, der das Herz erwärmte, aber in doch recht schattiger Umgebung stattfand (großer Dank an alle Musiker und die tapferen Zuhörer), Jock Stewart nicht fehlen, der olle Schotte, „a man you don’t meet every day“.
Bleibt gesund und kommt wieder am 1. April, diesmal mit David Blair als „Featured Artist“.
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