Folk Club im April 2023 – mehr als nur Löwenzahn
Der Löwenzahn ist eine schöne Pflanze – wenn er blüht. Ansonsten gibt es sehr unterschiedliche Urteile über seine Existenz und seine Auswirkungen. Am witzigsten ist sicherlich die Einschätzung, die sich in der französischen Bezeichnung der Pflanze manifestiert: le pissenlit (zu Deutsch: Pinkel-ins-Bett) lautet der Name und weist auf die starke diuretische Wirkung nach dem Genuss von Pflanzenteilen des Löwenzahns hin, der tatsächlich essbar ist. Aber ob man ihn mit Genuss verspeist, ist Geschmackssache. Besonders groß scheint der Löwenzahn-Appetit der Menschen nicht zu sein. Anderenfalls gäbe es sicherlich weniger von diesen Fugensprengern. Andererseits muss man auch zugestehen, dass der Spruch zutrifft: „Der Unterschied zwischen einem Kraut und einem Unkraut ist ein Urteil“. So gibt es über Lilien, Veilchen und Rosen zahlreiche Lieder, aber der Löwenzahn ist recht wenig besungen. Vielleicht liegt es aber am Grad der Penetranz des Individuums, ob man es hütet und pflegt oder ob man es eher schief ansieht. Man denke z.B. an scheue Zaunkönige (eher weniger häufig und versteckt lebend) oder zudringliche, allgegenwärtige Tauben. Was den Namen der Pflanze angeht: Die englische Sprache bedient sich eines Begriffs, der auch aus dem Französischen abgeleitet ist, der aber weniger humorvoll daherkommt: Dandelion, eine Verballhornung des Begriffs „dent-de-lion“, Löwenzahn also. Zur Visualisierung des Themas hatte Elena ein kleines Löwenzahn-Sträußchen mitgebracht, das während des Abends das Klavier zierte. So viel zur Pflanze, die das Thema des Abends bildete.
Die meisten Musiker hatten sichtlich Mühe, mit ihren Beiträgen einen Bogen zum Thema zu schlagen, denn offenbar ist die Suche nach vorhandenen Liedern mit einem Bezug zu der umstrittenen Pflanze nicht sehr ergiebig. Immerhin brachte der Humor auch hier einige Klimmzüge und Lacher aus dem Publikum zustande.
John Harrison Zum Start des Abends bediente er das Thema in vier Gedichten mit Lobpreisungen über die Pflanze. Offenbar hat er keinen Gemüsegarten, und auch die Fugen zwischen Platten und Einfriedungen sind ihm einerlei! Aber schön sind sie doch – die Gedichte. Darum drucken wir sie hier ab, damit Ihr sie noch einmal nachschmecken könnt:
DAN D LION
The brilliant yellow tempest of his lawn
A veritable crescendo of April sunshine
Canned solar colour and power
Languishing at ground zero
The bain of neighbouring gardeners
Proclaiming the, for them irresistible, yet for others malaligned,
benefits of botanical ethnic cleansing
Slightly bitter young leaves
Enhancing green spring salady of rocolla
Older leaves prepared for the chomping of ever hungry
Neighbourhood pet rabbits
The yellow flowers harvested and blanched
And fermented for dandelion wine
Down below the sod
The roots entwine
Preparing to offer a roast coffee-ersatz
In times of need
'tis not rocket science
and indeed in times of need
after excessive greed and climate trashing
a most welcome kind of common weed
The humble dandelion once more shines forth
Resplendent and ever resilient resisting
Eradicate, Ex(s)tincticate, Exterminate,
Not even Daleks could do it.
John Harrison
Dandelon II
First off the mark
your sunny disposition
paraboles spring's joys
(God well silenced
her herald's roar
to quiet relief)
Your blinding colours
beckoning
hungry winter wakers
Gardeners waking
curse
your root insubordinance
insensitive
to your nectar worth
Awake silently
blessèd reflection
of his own
and your own wile
(God's silent trumpets
basking golden
in his mirth)
That your triumphant
silent fanfare
precedes spring life
on northern earth.
John Harrison
Vitamin A and Dan D Lion
An army of a million marching Greens
with fluffy white Afro-haircuts
and a serious balding problem
A time piece of bronchial precision
almost a weed
the butt of much derision
Ubiquitous beautifier
malaligned diuretic pacifier
if roots be freedom
if words were reason
God bless your season
simple flower power
Tower over grassy lees
and spread your shoots with glee
for oft you may confront one less benign than me
Your happy yellow face
has graced so many dark spring hour
woe be the tide indeed
should they
not deem
thee flower
John Harrison
(Upon hearing that the only difference between a flower and a weed is a judgement)
Dandelion draught
Yellow and green
above the ground
roots so long
that they reach through to Brazil
and taste of coffee
The sails of an iceberg
The wind mills of life
The forlorn grist
at Being's core
the tip
of a flying clock
like grace
once refreshed
telling time's
relentless seasons
Yet again
and again
and again
and again
John Harrison
Keinen direkten Bezug zum Thema hatte das immer wieder gern gehörte Lied von der irischen Fischverkäuferin Molly Malone, ein Lied voller deftiger Anspielungen. „Cockles and mussles“ (Herzmuscheln und Miesmuscheln) sind ihre Spezialitäten. Leider stirbt die Schöne am Ende an einem nicht näher definierten Fieber. Damit das Publikum wusste, wann es die entsprechenden Wörter skandieren sollte, hielten Christoph Thiebes und Holger Riedel entsprechende Plakate hoch. Etwas abgewandelt wurde danach der Song „Corinne, Corinna", dessen Ursprung dem Blues-Gitarristen Bo Carter von den Mississippi Sheiks im Jahr 1928 zugeschrieben wird, mit dem Titel „Corona, Corona" – nette Idee von John, ihn angesichts der C-19-Pandemie neu zu texten. Christoph Thiebes begleitete ihn mit seiner gewohnten Souveränität auf der Mundharmonika. Der Originalsong existiert heute in einer unüberschaubaren Anzahl von Versionen verschiedener Interpreten, darunter auch Blind Lemon Jefferson. Auch Eric Clapton klaute die Melodie für seinen Song "Alberta, Alberta" auf seiner "Unplugged"-CD von 1992 und schrieb den Song fälschlicherweise Leadbelly zu. Wir verzeihen Eric Clapton den Fehler, denn das allwissende Internet wurde erst ein Jahr später für die Öffentlichkeit verfügbar – vor 30 Jahren!
John Hay spendierte uns danach mit zwei Soleás por Bulería eine kleine Kostprobe seines Könnens auf der Gitarre. Diese Musik ist eine beliebte Form (palo) des Flamenco in den spanischen Tablaos. In der Struktur des 12er-Rhythmus vereint die Soleá por Bulería die Kraft und Tiefe der Soleá, jedoch mit einer größeren Luftigkeit, wodurch sie in der Nähe der Bulería steht. So steht es in einem Internet-Portal.
Uminterpretationen von Liedern anderer Künstler sind die Spezialität von Gerd Schinkel, der zusammen mit Tomke Winterboer einige Kostproben gab. Aber auch eigene Kreationen gehören zum Repertoire der beiden. „The First Cut Is The Deepest“ von Cat Stevens (heißt heute Yusuf Islam) ist ein Klassiker. In der zweiten Strophe ersetzten sie den Originaltext durch eine deutsche Variante. Wunderbar ergänzen sich Tomkes Gesang und Gerds Gitarrenspiel, der gelegentlich auch eine zweite Stimme mitsang.
Ebenfalls im Wechsel englisch und dann deutsch ist der Text von „If I Needed You“ von Townes Van Zandt. Auch beim Lied „When You Say Nothing At All“ von Ronan Keating glänzten die beiden mit schöner Zweistimmigkeit. „Flower“ ist aus Tomkes eigener Feder, und „Leben lieben lernen“ stammt von Gerd. Man soll das Leben nicht verschieben ist die Botschaft – wie wahr. „Wiedersehen“, ein schönes Lied nach einer Melodie von Bruce Cockburn ist ein prima Abschluss für ein Konzert und wird daher von Gerd gern vorgetragen – Bravo Tomke und Gerd für euren Beitrag.
Hans Ihnen bereichert den Folk Club immer wieder mit neuen Liedern, darunter echten Raritäten. Den meisten nicht ganz fremd ist jedoch Udo Lindenbergs „Mein Ding“, zu dem das Publikum streckenweise kräftig mitsingen konnte. Eher bei Spezialisten bekannt ist der Country Song „The Thunder Rolls“ von Pat Alger und Garth Brooks. Das Lied handelt von Betrug und enttäuschter Liebe. Die betrogene Frau, sie erschnüffelt das fremde Parfüm, erschießt ihren Mann – niederschmetternd. Vertrauen und Zuwendung sind hingegen das Thema von „You Are Not Alone“ von Paul Carrack. Gottseidank, die Welt ist nicht nur schlecht.
Die Featured Artists des Abends waren Matthew und Astrid Robb aus Köln. Matthew schreibt und spielt poetische Lieder, die mehr als zum Nachdenken anregen und hat inzwischen seine dritte CD veröffentlicht. Seine Frau Astrid begleitet ihn gekonnt mit ihrer Stimme und auf dem Cajon. Neben Matthews eindringlicher Stimme sorgt seine feine, transparente Fingerpicking-Technik an der Gitarre für den musikalischen Pfiff. „Spirit In The Form“ handelt von einer bitteren, selbstverschuldeten Trennung von einem geliebten Menschen. „Slave Song“ behandelt ein anderes bitteres Kapitel der Menschheit, das bis in unsere Tage hereinwirkt. Eindringlich und unerbittlich besingt er die erschütternden Aspekte des Sklavendaseins. Aber der Geist bleibt trotz der erlittenen Pein frei. „Miss You Babe“ handelt natürlich auch von Trennung und Schmerz. „Spoils Of War“ zeichnet ein düsteres Bild vom Verhältnis des Menschen zum Menschen. Weitere Lieder der beiden waren unter anderem „Something Got A Hold“, „Come Back Home”, „The River”, „Dead Men Have No Dreams”, „Cry Some Tears”, „War Without Witness“. Den Abschluss bildete das Lied „The Devil Drives”, das eine besonders düstere Perspektive unseres Daseins und unserer Zukunft ausbreitete: Es ist der Teufel, der unser Geschehen bestimmt. Der Leibhaftige hat das Steuer des Weltgeschehens in der Hand, und das verheißt nichts Gutes. Trotz der düsteren Stimmung – und vielleicht sogar deswegen – großer Applaus für Matthew und Astrid.
Nach all den Düsternissen gab es von anderen Künstlern auch wieder Erholung für Seele und Geist. Gerald Matuschek und Thomas Meier hatten thematisch einen Volltreffer gelandet und das vermutlich einzige Lied über den Löwenzahn ausgegraben: „Dandelion“ von der deutschen „Krautrock“-Gruppe Jane aus den siebziger Jahren. Das muss man erst mal finden. Rätselhaft ist für mich, woher die beiden den korrekten Text hatten. Im Internet konnte ich ihn nicht auftreiben und auch ein YouTube-Kommentar fragte nach dem Text. Also haben sie ihn entweder aus der YouTube-Aufnahme mitgeschrieben (alle Achtung bei dem Genuschel) oder einer hat die Platte (ja Platte, CDs gab es noch nicht), der eventuell ein Textblatt beilag, wer weiß? Vielleicht gibt es einmal einen Kommentar mit einer Aufklärung.
Mal etwas anderes bot uns Artur Głogowski mit zwei Liedern in polnischer Sprache. „Latawce“ (Drachenflieger), ein Lied aus Arturs eigener Feder, beschreibt die Träume eines kleinen Jungen. Ein polnischer Klassiker ist der „Uhrmacher des Lichts“ („Zegarmistrz światła“), ein Lied über das Verlassen und das Ende des Lebens. Der „Uhrmacher des Lichts “ dient als Allegorie des Todes. Der Text stammt von Bogdan Chorążuk und wurde 1972 von Tadeusz Woźniak vertont und gesungen. Abermals vom Fliegen handelt das Lied „Wings“ von Jackson Dean. Bravo Artur, bleibe dem Folk Club gewogen.
Mehr in die humoristische Richtung tendierten EmDo, ein kleiner Chor, der sich zum Üben immer donnerstags trifft (Ensemble am Donnerstag) unter der Leitung von Uwe Johann. Die EmDo-Mitglieder hatten sich sogar für das Thema des Tages mit kleinen Blumenansteckern fein gemacht. Die Lieder hatten hingegen weniger mit dem gelben Plagegeist zu tun. „Die Launige Forelle“ ist eine kleine Persiflage von Franz Schöggl auf Franz Schuberts „Launische Forelle“. Originaltext und -melodie werden im Stil verschiedener berühmter Komponisten z.B. Mozarts verfremdet – ein lustiger Spaß und obendrein mit feinen Stimmen und präziser Intonation vorgetragen. Das Spiritual „Deep River“ ging direkt unter die Haut. „Sweet Dreams“ von den Eurythmics (Dave Stewart) als Chorversion ist auch nicht ohne und wurde gekonnt gesungen – Riesenapplaus für die vier Sängerinnen und zwei Sänger. Natürlich musste danach noch eine kleine Zugabe her: „Epo-i-Tai Tai-E“, ein Chant und Tanz der Maori aus Neuseeland, angeblich aus Zeiten vor ihrer Ankunft dort. Der Chant ist wohl sehr alt, niemand erinnert sich mehr genau an die Worte. Vielen Dank, EmDo, kommt bald wieder!
Als ob das nicht schon ein volles und hochklassiges Programm gewesen wäre, setzten drei Musiker noch eins drauf: Rafael Cereceda an der siebensaitigen brasilianischen Gitarre (die hat eine zusätzliche tiefe C-Saite), Viola Middelhauve an der Querflöte und Johannes Anschütz (Gitarre) zauberten brasilianische Klänge vom Feinsten. „Roda de Choro“, Runde des Choro, heißt in Brasilien, diese Art Musik zu machen. Der Choro ist der ursprüngliche brasilianische Musikstil, und es wird in zwangloser Runde musiziert, genauso wie im Folk Club. Zwanglos ist leicht gesagt, man muss auch die Instrumente beherrschen, und die Drei konnten es wahrhaftig. Die Namen der Stücke lauteten „O bom filho à casa torna“ (Der brave Sohn kehrt nach Hause zurück) von Bonfiglio de Oliveira, „Carinhoso“ (Liebling) ein klassischer Choro von Alfredo Vianna (genannt Pixinguinha) und João de Barro sowie „Receita de Samba“ (Samba-Rezept). Was soll ich sagen, nach den drei Stücken tobte der Saal. Natürlich ging es nicht ohne Zugabe, deren Titel „Já Te Digo“ (Ich sage es dir schon) lautete, ein brasilianischer Samba-Klassiker von Pixinguinha. Nochmals Riesenapplaus für die Drei – hoffentlich kommen sie einmal wieder zum Folk Club.
Uff, es war ein langer Abend, und doch reichte es noch für Jock Stewart, den Rausschmeißer des Folk Clubs. Thomas Monnerjahn, ein vielseitiger Vollblutmusiker, der bereits des Öfteren im Folk Club aufgetreten ist, schnappte sich das Klavier, stimmte die ersten Töne an, los ging’s, und der Saal sang kräftig mit.
Auf Wiedersehen am 5. Mai mit dem Thema des Abends „Blütenpracht und blauer Himmel“ und den Featured Artists Franco Morone und Raffaella Luna aus Italien.
Meine Frage nach dem Test des Liedes „Dandelion“ von der deutschen „Krautrock“-Gruppe Jane beantwortete Gerald Matuschek wie folgt: "In der Tat haben wir den Text von Dandelion von der Schallplatte abgelauscht und waren uns nicht immer ganz einig. Ich besitze die original LP aber da ist der Text nicht abgedruckt. Kein Wunder, denn er ist ziemlich platt und im schlimmsten Schulenglisch. Egal, der Auftritt hat jedenfalls grossen Spaß gemacht und ich finde es einfach toll, wie viel verschiedene Musik im Folk Club Bonn zur Geltung kommt, auch abseits von britischem oder US-Folk.
AntwortenLöschenViele Grüße
Gerald"
Thank you Gerald! Many people forget in the time before computers and the internet the only possible way to obtain lyrics was to write what one heard down and then lift the needle arm. place it back on to the revolving record, at the beginning, and simply try again!
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