Dienstag, 30. Mai 2023

Detlefs Bericht vom Folk Club Nr. 135 am 5. Mai 2023

Folk Club im Mai mit Virtuosität aus Italien

Ach, der Mai! Die Menschen lieben ihn, und die Poeten und Komponisten lassen ihrer Fantasie für den Wonnemonat freien Lauf. Mir fallen gleich mehrere deutsche Lieder ein, die den Mai thematisieren. Unser Chef John Harrison liebt aber ein englisches (wie könnte es auch anders sein) Mailied, das alljährlich an dieser Stelle zum Vortrag kommt: Der „May Song“ von Dave Webber ist leicht zu lernen und hat einen eingängigen Refrain. Daher konnte die Gemeinde fleißig mitsingen. Zu dem Lied gibt es auch noch eine nette Anekdote: Im Ort Padstow in Cornwall wird traditionell ein Maifest gefeiert, zu dessen Traditionen auch genau dieses Mailied gehört, das sich anhört, als wäre es ein uraltes Volkslied. Als Dave Webber einst bei einem Auftritt in Padstow just dieses Lied vortrug, maulten die Einheimischen, dass dies doch ihr traditionelles Mailied sei. Webber musste sie darüber aufklären, dass es aus seiner Feder stammte. Immerhin, die Beschwerde der Leute aus Padstow war für Webber so etwas wie ein Ritterschlag. Gut zum Thema des Tages (Blütenpracht und blauer Himmel) passte auch Johns Gedicht vom „Green Man“, der sagenhaften Gestalt, die Fruchtbarkeit und Leben und die Wiedergeburt der Natur im Frühjahr symbolisiert und die sogar in vielen Verzierungen an und in Kirchen zu finden ist. Eine kleine Referenz an den kürzlich gekrönten britischen König Karl III. (auch bekannt als Charles III.) war das Lied „Charlie Is My Darling“, das sich aber auf einen früheren Träger des Namens bezog, der im 18. Jahrhundert mit einer missglückten Militäraktion versuchte, den britischen Thron für die schottische Dynastie der Stuarts zu erobern. Hätte dessen Aktion Erfolg gehabt, wäre die britische Thronfolge in eine andere Richtung gegangen. John wurde von Christoph Thiebes an der Mundharmonika unterstützt. Im Lied „Silver City“ von Mance Lipscomb ging es weniger um blühende Natur und Sonnenschein als um das Leben der Leute am hinteren Ende der Wohlstandshierarchie. Auch hier sorgte die Unterstützung durch Christophs Mundharmonika für den richtigen Sound.

Ein paar originelle Lieder aus eigener Produktion zu Themen der Zeit hatte Rainer Goetzendorf auf Lager. „Das Handy“ beschreibt auf humorvolle Weise die Versklavung der Menschen an das kleine elektronische Wunderwerk, ohne das sich viele ihr Leben nicht mehr vorstellen können. „Das kann doch die Zukunft nicht sein, Stunde um Stunde dem Handy zu geben, immer nur sein Sklave zu sein“ lautet der Refrain. Das Publikum war begeistert. Kaum bemerkt haben dürften aber die meisten ein unfreiwilliges Element der Komik: Rainer empfahl dem Publikum, seine Lieder auf YouTube anzuhören. Nanu? Wie passt das denn zusammen? YouTube-Konsum findet ja vornehmlich über das Smartphone statt. Ja, so ist das mit der Kritik an der Lebensführung. Ehe man sich’s versieht, tappt man in die Falle der eigenen Inkonsistenz. Eher gemischt fiel die Reaktion auf das Lied „Me too, me too“ aus, mit dem Rainer sich den Frust darüber von der Seele sang, als Mann auf die Rolle als Unterdrücker und Bedränger der Frauen eingeengt zu sein. Schon ein kleiner Flirt in der U-Bahn könnte missdeutet werden. „Denn jeder denkt me too, me too, lass sie lieber ganz in Ruh“ ist die Kernaussage. Einige Frauen im Saal kommentierten das Lied mit verständnislosem Augenrollen. Ohne Text kam die hübsche Melodie „Meine schöne Welt“ aus, bei der Rainer die Gitarre gegen die Trompete tauschte. Rainer ist auch Mitglied einer Bonner Jazzband („Hot Pepper Jazzband“), die seit 1989 in Bonn und Umgebung auftritt. Leo begleitete Rainer auf dem Klavier – viel Applaus für die beiden.

Immer wieder ein Hingucker ist Yawen Liu mit ihrer Guzheng, der chinesischen Zither. Yawen spendierte dem Publikum zwei Lieder auf dem ausladenden Instrument mit dem charakteristischen Klang. Ich habe einmal von hinten einen Blick auf die Noten geworfen, die Yawen benutzte. Damit hätte selbst Mozart nicht viel anfangen können. Vielleicht erklärt uns Yawen bei einem künftigen Auftritt einmal die Bedeutung der Zeichen. Ich fand es beeindruckend – die Melodien, Yawens Virtuosität, das große und schöne Instrument und die Noten für die Lieder.

Nach diesen Präliminarien kam mit Franco Morone aus Italien unser Featured Artist auf die Bühne und wob uns ohne lange Umschweife in sein fantastisches Gitarrenspiel ein. Bei „Dangerous Roads“ präsentierte er uns ein verwickeltes Finger-Picking kombiniert mit Perkussionselementen auf dem Gitarrenkorpus. Nach dem furiosen Start ging es etwas ruhiger, aber nicht weniger virtuos zu mit „Song For You to Stay“.  „Walking The Shoreline“ erzählt eine Geschichte zusammen mit dem Gitarristen Tim Sparks am Strand von Santa Barbara in Kalifornien. Zum Weinen schön war Francos Interpretation des Volksliedes „The Water Is Wide“ mit mehreren Variationen. Mit einer Reihe von italienischen Tänzen mit den Bezeichnungen „Calderaio-Giga-Tarantella“ brachte Franco auch eine Referenz an seine italienische Heimat. Den Frauen von Samos gewidmet war ein griechisches Lied im 7/8 Takt mit dem Titel „Samiotisia“.

Nach diesem Feuerwerk der solistischen Instrumentalstücke kam Francos Frau Raffaella Luna mit ihrer umwerfenden Stimme zum Einsatz. „La Bergera“ erzählt die Geschichte einer Hirtin in Italien, als Napoleons Soldaten kamen. Aus Piemont stammt das Lied „Il Re“ (Der König). Der Mann lässt seine Frau nicht auf ein Fest gehen aus Angst, dass sie nicht zurückkommt. Franco versteht es, Raffaella bei ihrem bezaubernden Gesang virtuos aber doch zurückhaltend zu begleiten – eine perfekte Harmonie der beiden „Instrumente“. Das Publikum ist wie gebannt und beweist, dass Verstärkung in einem solchen Rahmen – trotz der rund 100 Zuhörer im Raum – völlig überflüssig ist. Im Gegenteil die Abwesenheit von Verstärkung fördert den Kontakt zwischen Musikern und Publikum und schafft eine einzigartige Atmosphäre – wenn das die Musiker doch nur auch bei anderen Auftritten umsetzen würden. Aber die Angst davor, akustisch unterzugehen verleitet dazu, zur Verstärkung zu greifen – und dies bewirkt oftmals das Gegenteil des Angestrebten. Aber einerlei, der Folk Club hat auf diese Weise ein Alleinstellungsmerkmal, und das kann uns ja nur recht sein. Die Reaktion vieler Musiker auf die Atmosphäre ist jedenfalls eindeutig. Franco beendete das Set mit dem Stück „Flowers Of Ayako“, das an eine keltische Melodie erinnerte.

Nach der Pause präsentierten Caroline Bernotat (Gesang) und Jeremy The am Klavier ihre selbstverfassten Lieder. „Woman’s Lament“ beschreibt den „wichtigsten“ Kummer einer Frau: Figur, Aussehen, Erscheinung. „Dabei singe ich doch mit der Stimme“, klagt das Lied, wie wahr! „Go and Just Be Gone“ stammt aus der Feder von Jeremy, der Carolines Gesang mit prachtvollen Jazzharmonien begleitete. Caroline singt das jazzige Stück mit beeindruckender Stimmführung. Den Abschluss des Floor Spots bildete Caolines „Secretarial Blues“ mit dem sie auf witzige Weise den Alltag einer gehetzten Sekretärin beschreibt. Großer Applaus für die Beiden – für Carolines herrlichen Gesang, für Jeremys gekonnte und professionelle Begleitung am Klavier (Hilfe, das Instrument muss wieder gestimmt werden) und für die originellen Lieder.

Eine kleines Loch im Programm wegen einer unangekündigten Rauchpause füllte John Harrison souverän mit dem Blues „Come On In My Kitchen“ von Altmeister Robert Johnson aus. Zu dessen Zeit, in den 1920/30er Jahren, war das Spielen ohne Verstärker noch die Regel – es gab schlichtweg die Technik noch nicht oder zumindest noch nicht für den normalen Musiker. Wie haben die armen Künstler das nur ausgehalten?

Den Abschluss des Abends gestalteten Franco und Raffaella. Franco stieg mit drei Instrumentalstücken ein. Eine Referenz an Irland bildete ein „Jig On Planxty Irwin“, ein Stück über die bekannte irische Folk-Formation. Ebenfalls ein Hinweis auf Irland ist das Stück „Giants‘ Causeway“, das die bizarre vulkanische Felsformation an der irischen Nordküste thematisiert. Ganz zarte Töne schlug Franco mit dem Stück „Porta sul mare“ an, bei dem es um das Tor für Flüchtlinge geht, die in Italien über das Meer kommen. Raffaella und Franco setzten die Serie der gesungenen Lieder fort. Interessant war dabei die Information, dass viele der Lieder aus dem Volk von einem Musikwissenschaftler namens Roberto Leydi wiederentdeckt wurden. Ironischerweise hat Leydi seine umfangreiche Sammlung in die Schweiz verbracht. Sie wird in Bellinzona im „Centro di dialettologia e di etnografia“ aufbewahrt. „Non potho reposare“ (Ich kann Liebe und Herz nicht ruhen lassen), ein Lied aus Sardinien in sardischem Dialekt oder besser gesagt sardischer Sprache, ist eines der Lieder. Auf dem Textblatt zur CD gibt es zu diesem Lied sogar eine Übersetzung ins Italienische. Ebenfalls zu der Sammlung gehört „Siamo tre sorelle“ (Wir sind drei Schwestern) ist ein zartes Lied über die Liebe, das Raffaella mit unglaublicher Anmut sang. Zum Abschluss gab es zwei Lieder aus dem englischsprachigen Raum. Zum Weinen schön war die Interpretation der beiden von Jimmy Webbs Lied „Moon‘s A Harsh Mistress“. Mit „Forever Young“ von Bob Dylan verabschiedeten sich die beiden, und das Publikum spendete frenetischen Applaus  

Aber halt, ganz war der Abend nicht zu Ende, denn die Gemeinde musste noch dem Schutzpatron des Folk Clubs mit dem Lied „Jock Stewart“ huldigen.

Auf Wiedersehen am 2. Juni mit den Featured Artists Stefan Mönkemeyer aus Dortmund (Gitarre) und Johannes Epremian (Geige) aus Bonn.

 

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